Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Schöpfer und Erlöser. Amen.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in der Apostelgeschichte des Lukas.
Apg 3,1-10
Einmal gingen Petrus und Johannes zum Tempel.
Es war um die neunte Stunde,
die Zeit für das Nachmittagsgebet.
Da wurde ein Mann herbeigetragen,
der von Geburt an gelähmt war.
Tag für Tag setzte man ihn
an das Tor zum Tempelvorhof,
das die »Schöne Pforte« genannt wird.
Dort sollte er bei den Tempelbesuchern
um eine Gabe betteln.
Der Mann sah Petrus und Johannes,
als sie gerade in den Tempel gehen wollten.
Er bat sie um eine Gabe.
Petrus und Johannes blickten ihn an,
und Petrus sagte: »Sieh uns an!«
Der Gelähmte sah zu ihnen auf
und erwartete, etwas von ihnen zu bekommen.
Doch Petrus sagte: »Gold und Silber habe ich nicht.
Aber was ich habe, das gebe ich dir:
Im Namen von Jesus Christus, dem Nazoräer:
Steh auf und geh umher!«
Petrus fasste den Mann bei der rechten Hand
und zog ihn hoch.
Im selben Augenblick kam Kraft
in seine Füße und Gelenke.
Mit einem Sprung war er auf den Beinen
und machte ein paar Schritte.
Er folgte Petrus und Johannes in den Tempel.
Dort lief er umher, sprang vor Freude und lobte Gott.
Das ganze Volk sah, wie er umherlief und Gott lobte.
Sie erkannten in ihm den Bettler,
der immer an der Schönen Pforte des Tempels
gesessen hatte.
Sie staunten und konnten nicht fassen,
was mit ihm geschehen war.
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext erzählt eine Geschichte. Dies hat mich auf die Idee gebracht, die Predigt als Geschichte zu verfassen. Ich stelle mir vor, wie Menschen damals dies Ereignis erlebt haben, wie es sie verändert hat und was und wie sie uns davon erzählen könnten. Darum habe ich folgenden Brief geschrieben und diesem zuzuhören, lade ich Sie und euch herzlich ein.
Liebe Gemeinde, wo auch immer!
Mein Name ist Lydia. Das, wovon ich erzählen möchte, geschah kurze Zeit, nachdem ich mit meinem Mann nach Jerusalem gezogen war und das war einige Woche nach dem Passahfest im Jahre 33.
In dieser wunderschönen Stadt Jerusalem hatte wir gute Freunde und mit meiner Freundin Phoebe besuchte ich von Anfang an fast täglich den Frauenbereich beim Tempel.
Als wir eines nachmittags zum Gebet in den Tempel gingen, geschah dort etwas Wunderbares. Er hat mich so bewegt und beeindruckt, dass ich es unbedingt weitererzählen muss.
Phoebe und ich kamen zu den Stufen, die zum Tempel führten. Schon von Weitem sah ich den gelähmten Mann dort sitzen und betteln. Ich kannte ihn zwar nur vom Vorübergehen und manchmal gab ich ihm auch eine kleine Münze, doch wusste ich schon einiges mehr von ihm.
Phoebe hatte es mir erzählt. Der Bettler war schon von Geburt an behindert und saß schon seit Jahren am Tempeltor. – In gewisser Weise war Jerusalem eben wie ein Dorf, man wusste so einiges voneinander und es gab viele Geschichten. – Natürlich gab es mehrere Bettler auf den Tempeltreppen, aber dieser war jeden Tag da, wurde gebracht und abgeholt.
Als wir auf den Stufen kurz im Gespräch stehenblieben, überholten uns zwei Männer. Auch sie waren Phoebe bekannt. „Das sind Petrus und Johannes,“ flüsterte sie mir zu. „Sie gehören zu diesem Jesus aus Nazareth, von dem ja Unglaubliches erzählt wird.“ Ich kannte noch nicht so viele Geschichten über diesen Jesus, natürlich wusste ich, dass er gekreuzigt worden war – und angeblich auferstanden sein soll. Aber wer kann das schon glauben?!
Wir schauten den beiden hinterher. Sie waren nun nahe beim bettelnden Gelähmten. Er hielt die Hand auf und schaute verstohlen zu Boden. Leise murmelte er: „Eine milde Gabe, bitte.“ Die beiden Männer blieben stehen.
Eigentlich wollte Phoebe und ich weitergehen, doch meine Freundin bremste nun meinen Schritt und sagte: „Mal abwarten“, und ihre Kopfbewegung zeigt, dass sie sehen wollte, was nun geschah. Petrus und Johannes blickten den Bettler an. Doch er schaute weiter herab. Da sagte einer der Männer:“ Sieh uns an!“ Der Kranke hob langsam den Kopf und blickte überrascht und erwartungsvoll in die Gesichter dieser Männer.
Ich erschrak etwas, als ich sein Gesicht sah, denn mir wurde mit einem Mal bewusst, dass ich ihm, obwohl ich seit einiger Zeit fast täglich an ihm vorbeigegangen bin, noch niemals sein Gesicht gesehen hatte.
Es war ein trauriges Gesicht, und er musste doch noch jünger sein, als ich dachte. Ich sah ein kleines hoffnungsvolles Blitzen in seinen Augen, als er dieser Männer sah. Wohl, weil deren Verhalten auf eine größere Spende hoffen ließ. Und dann fiel diese Hoffnung wieder in sich zusammen. Auch ich erschrak etwas bei den Worten: „Silber und Gold besitze ich nicht.“ Was für eine Enttäuschung. Und dann kann dieser ungeheuerliche Satz hinterher: „Doch was ich habe, das gebe ich dir, im Namen Jesu Christi, geh umher!“ Wieder spürte ich Phoebes Hand an meinem Arm. Ich schaute sie an und bemerkte, dass sie aufgeregt und entsetzt war.
Und was dann geschah, was ja auch unglaublich. Der Mann, der Petrus hieß, fasste den Gelähmten an der rechten Hand und richtete ihn auf. Und der Behinderte fiel nicht nieder. Er konnte stehen, ging umher, ja sprang sogar. Neben mir sackte Phoebe in sich zusammen. Als ich mich zu ihr herabbeugte, sah ich aus den Augenwinkeln den ehemals gelähmten Mann nun mit diesen Jesusmännern im Tempel verschwinden.
Phoebe brauchte etwas länger, um sich zu erholen. Ich brachte ihr einen Schluck Wasser und wir saßen noch eine Weile zunächst stumm auf den Tempelstufen.
Dann hörten wir aufgeregte Stimmen. „Hast du gesehen, er sprang herum.“ „Von Geburt an gelähmt und nun auf einmal!“ „Und Gott hat er gelobt. Selten habe ich jemanden so Loblieder singen gehört!“ Die Stimmen gehörten Menschen, die aus dem Tempel kamen. Sie gingen an uns vorbei. Ihre Schritte waren schneller als sonst und ihre Bewegungen hektisch. „Sie haben ihn auch gehen sehen“, sagt Phoebe. „Das erste Mal“, dachte ich.
Dann sahen auch wir den Gelähmten aus dem Tempel kommen. Er sprang die Treppen hinab und sang laut, lobte Gott mit einer Stimmkraft, die ich ihm nie zugetraut hätte. Er erschien mir wie neugeboren.
Dies Erlebnis ließ mir keine Ruhe. Im Namen Jesu haben sie geheilt! Was macht dieser Glaube möglich? Ist doch etwas dran an der Auferstehung, an der Kraft zu neuem Leben? Ich wollte mehr wissen und fragte Phoebe aus, was sie über diesen Jesus wusste. Und dann haben wir gemeinsam den Predigten dieser beiden Apostel gelauscht.
Dies alles veränderte mich. Mehr und mehr hinterfragte ich mein Denken und Tun auf das, was ich von Jesus hörte und was er lehrte, lebte und getan hatte. Dabei lernte ich, Menschen neu zu betrachten und Zusammenhänge aus mehreren Blickwinkeln zu sehen. Ich fragte mich, wie mein Handeln Menschen nützlich sein könnte, dass es nicht nur kurz hilft, sondern sie in ihrem ganzen Leben stärken könnte. In diese Richtung versuchte ich mein Leben zu gestalten.
Wenn Phoebe und ich nun zum Tempel gehen, lassen wir uns auf den Stufen mehr Zeit für die, die um Hilfe rufen. Wir geben ihnen manchmal Geld, aber mehr noch etwas von unserer Zeit. Und wir kennen von vielen nun nicht mehr nur Geschichten über sie, sondern wir kennen auch ihre eigene Geschichte und sie selbst. Mit einigen haben wir sogar neue Freundschaften geschlossen.
Ich habe dabei für mich erkannt, dass es viele andere Begegnungen gibt, wo ich Menschen nicht ins Gesicht sehe oder es erst gar nicht will. Dort, wo ich den Blick von Angesicht zu Angesicht nun schon gewagt habe, ist vieles ehrlicher und echter geworden und manches Urteil, dass ich schon gefällt hatte, konnte ich mit dem Blick im Namen Jesu nicht mehr aufrechterhalten. Und einige ungesunde Beziehungen in meinem Umfeld wurden heiler.
Längere Zeit danach traf ich den ehemals Gelähmten auf den Stufen zum Tempel. Ich sprach ihn an und erzählte ihm, dass ich seine Heilung damals beobachtet habe. „Und das mir“, sagte er mir im Gespräch.“ Ich war kein Jesusanhänger und auch kein besonders gläubiger Jude. Die Heilung geschah ohne Vorleistung, ohne Bedingung. Es war ihr Glaube, der Glaube von Petrus uns Johannes, der mich heilte.“
„Vielleicht kann unser Glaube an Jesus auch anderen helfen,“ sagte ich ihm daraufhin.
Phoebe und ich wurden keine Wunderheilerinnen und keine Heiligen, eher Fragende und Versuchende. Doch dies hat das für uns und andere schon mehr hin zu einem erfüllteren Leben verändert, als wir dachten.
Und so haben wir es, wie viele andere Männer und Frauen, die an Jesus glauben, an die folgenden Generationen weitergetragen, dass wir alle versuchen im Namen Jesu zu leben, zu fragen, zu denken, zu handeln und Menschen anzusehen von Angesicht zu Angesicht.
Ich habe aber erfahren, dass dies in den Jahren schon mehr Menschen bewegt hat, mehr Menschen aufgerichtet und gestärkt hat, als ich es je für möglich gehalten hätte. Darüber freue ich mich und hoffe, dass diese Bewegung niemals endet. So bitte ich euch, erzählt diese Geschichten immer wieder und wieder. Eure Lydia
Wir können dieser Lydia nicht direkt antworten. Selbst, wenn es sie gegeben hätte, wäre sie schon lange tot. Doch ich hoffe, dass wir mit unserem Leben als Christinnen und Christen der Freude und der Hoffnung Antwort geben, die viele Menschen – so wie die erdachte Lydia – mit dem Evangelium verbunden haben. Dass wir als Gemeinde Jesu Christi weitertragen, was Generationen vor uns Menschen bewegt und gestärkt hat zum Leben, und dass wir von der heilsamen Kraft des Glaubens etwas unter uns spürbar machen können. Ich wünsche mir auch, dass wir versuchen, Menschen, denen wir begegnen, ins Gesicht zu sehen, und erkennen lernen, welche Hilfe unsere Nächsten wirklich brauchen. Und ich hoffe, dass wir uns über die Fülle des Lebens, an der wir dann Anteil haben, von Herzen freuen können und diese Freude auch zeigen. Amen.















