Tunneldurchhaltekompetenz

Ein Wort – angedacht

Tunneldurchhaltekompetenz

Ich weiß nicht mehr, wo mir dieses Wort zuerst begegnet ist und wem wir diese wunderbare Wortschöpfung zu verdanken haben. Mir hat das Bild gleich gefallen.

Manchmal fährt uns das Leben wie an eine Wand. Es gibt keinen Blick nach vorn, keine Möglichkeit, Geschehenes zu überwinden. Und doch geht das Leben weiter und die Zeit bleibt nicht stehen. Doch es fühlt sich oft an, wie in einem Tunnel.

Tunnel – davon gibt es auf der Welt viele. Sie helfen voranzukommen, wenn uns Berge im Weg stehen, die nicht so leicht zu überwinden sind. Oder wenn wir etwas untertunneln müssen, Gewässer etwa, Bahnschienen, breite Straßen. Sie nützen uns also. Manchmal sind sie viel länger als gedacht und unheimlich. Manchmal braucht es Jahrzehnte, den Durchbruch zu schaffen. Manchmal ist es lange dunkel, bis wir das Licht am Ende des Tunnels sehen.

Wie ist das auszuhalten? Ich brauche Vertrauen, dass ich nicht vor einer Wand stehe, sondern vor einem – wenn auch noch undurchsichtigen – Weg, der ein Ende findet. Ich brauche Hoffnung, dass es wieder hell wird, und die Berge oder die Fluten sollen danach über – oder unterwunden sein.

Miteinander durch Tunnel gehen oder fahren, mit Menschen, denen ich vertraue, den Eltern, den Großeltern, die sicher wissen, dass Tunnel ein Ende haben, sind eine grundlegende Lebenserfahrung, ganz einfach, fast zu selbstverständlich, und doch entscheidend. Wer in einem Tunnel ist und hindurchgeht, wird auch wieder herauskommen.

Doch zunächst ist da dunkel, kein Blick für irgendwelche neue Richtung, nur ein stures Folgen der vorgefundenen Röhre. Wir funktionieren. 

Wenn wir in Gefahr sind, dort stehen zu bleiben, helfen Gespräche mit Menschen, die Tunnel im Leben durchgehalten haben: Schmerz, Trennung, Trauer, Sorgen, Krankheit. Solcher Austausch stärkt Vertrauen, dass auch mein Tunnel ein Ende haben kann und wird.

Reden wir miteinander, erinnern wir uns an ganz kindliche Grunderfahrungen, suchen wir Nähe zu Menschen, die Tunnelerfahrungen nicht wegreden oder ihnen ausweichen. Dann baut sich eine Widerstandskraft auf, eine Kompetenz, den Tunnel nicht als Endstation, sondern als Durchgang zu wieder besseren Zeiten begreifen zu können.

Zugegeben, hinter dem Tunnel kann und wird es wohl ganz anders sein, und manches kommt nicht zurück. Wer Richtung Süden durch die Alpentunnel fährt, kann immer wieder über ganz neue Eindrücke nach jedem Ende erzählen, als wäre man auf einmal in einer anderen Welt. Doch es zeigt, es gibt eine Zukunft, die lohnt. In der Bibel sagt Jesaja es so: Aber die Zeit der Finsternis und der Hoffnungslosigkeit wird einmal ein Ende haben. (zitiert nach: Hoffnung für alle, Jesaja 8,23).*

Wenn wir eine gewisse Tunneldurchhaltekompetenz im Leben mit auf den Weg bekommen haben von denen, die uns ins Leben geleiteten, dann können wir unsere Tunnel durchschreiten, nicht immer mit festen Schritt, manchmal sicher auch mit wackeligen Knien. Und wir können denen, die sich im Tunnel nicht weitertrauen, die Hand reichen und so weit mitgehen, bis sie das Licht am Ende des Tunnels zumindest erahnen. Und dann ist die Tunneldurchhaltekompetenz wieder ein Stück größer geworden unter uns, und auch andere können sie weitergeben. Und je mehr das geschieht, desto hilfreicher können wir die Tunnel begreifen, nicht als ewiges Dunkel, sondern als nötigen Weg, Veränderung anzunehmen und zu gestalten.

©Anke Dittmann 2.9.23

* Direkt an dies Wort von Jesaja schließt sich eine der Weihnachtsverheißungen an (Jesaja 9 zitiert nach „Hoffnung für alle“): Das Volk, das in der Finsternis lebt, sieht ein großes Licht; hell strahlt es auf über denen, die ohne Hoffnung sind. Denn uns ist ein Kind geboren! Ein Sohn ist uns geschenkt! Er wird die Herrschaft übernehmen. Man nennt ihn »Wunderbarer Ratgeber«, »Starker Gott«, »Ewiger Vater«, »Friedensfürst«. Er wird seine Herrschaft weit ausdehnen und dauerhaften Frieden bringen. 

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