Predigt zu meinem Abschied in den Ruhestand

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

 

Plötzlich und unerwartet – Wir freuen uns über das Kind, das uns anvertraut ist – vom schweren Leiden erlöst – Ich möcht´, dass einer mit mir geht – nach langem arbeitsreichen Leben – in guten wie in bösen Tagen – Was wird auf unser Kind zukommen? – – mitten aus dem Leben gewissen – aus Gottes Hand annehmen, lieben und ehren.

 

Liebe Gemeinde!

Das sind Stichworte, die zu den verschiedenen klassischen Amtshandlungen gehören, mit denen wir als Kirche Menschen über das ganze Leben begleiten. Taufe, Konfirmation, Trauung, Beerdigung. Neben den verschiedensten  Gottesdiensten, Besuchen, Gruppen oder Festen sind diese lebensbegleitenden Rituale die Anlässe, wo Menschen mit Kirche in Berührung kommen.

Hier in Ratekau sind diese Traditionen noch stark. In unserer schönen Feldsteinkirche, die viele wie eine Burg empfinden, die Geborgenheit schenkt, feiern wir oft Taufen und vor allem Trauungen. Wir haben in den letzten Jahren wieder eine steigende Anzahl von Konfirmand*innen und bei den Trauerfeiern haben wir im Schnitt mehr Besucher*innen, als in den normalen Sonntagsgottesdiensten.

Diese Berührungspunkte zeichnet etwas aus, was diejenigen erfahren, die sich offen und von Herzen darauf einlassen. Denn diese Berührungspunkte sind heilsam und ermöglichen Erfahrungen von Barmherzigkeit.

Wie schön ist es, bei der Taufe Dank zu sagen, das neue Leben als geschenktes Wunder zu begreifen und um Mithilfe in der Verantwortung für das Kind zu bitten, konkret mit Paten an der Seite.

Großartig ist es, wenn Jugendliche in diesen Jahren der explosionsartigen Entwicklung von 12-14-15 Jahren den Konfirmandenunterricht als einen Ort haben, wo sie so sein dürfen, wie sie sind, und gesegnet in ihre Zukunft gehen.

Und bei Trauungen ist es zwischen den Hochzeitsplanern und der „Locationsuche“ entlastend, wenn einmal davon gesprochen wird, dass wir unser Glück nicht allein schmieden müssen, und dass das Paar Gottes Segen zugesprochen bekommt, geschenkt. Aber auch, wenn jemand – etwa eine Pastorin – im Vorgespräch nachfragt: Was schätzt ihr aneinander?  Oder:  Wie habt ihr bisher Konflikte bewältigt? Oder: Wenn ihr goldene Hochzeit feiert, auf welche Erlebnisse würdet ihr da gern zurückblicken können? – eröffnet das Gespräche untereinander, die oftmals neu berühren.

Und bei Trauerfeiern legen wir ein Leben nicht in dunkle Erde, sondern in die Verheißung des Himmels, würdigen die einzigartige Lebensgeschichte, segnen, was war, finden Frieden mit allem, den guten und schweren Zeiten. Und in tragischen Fällen steht das Kreuz dort, das alle Wut und Enttäuschung aushält und tragen hilft.

Berührungen mit Kirche, dem Glauben, der Gemeinde, den christlichen Ritualen tun wohl. Und damit stehen sie in der guten Tradition mit der Art, wie Jesus Menschen berührt hat.

 

In der Evangeliumslesung haben wir es gehört: Jesus berührte die Zunge des Stummen und die Fessel der Zunge wurde gelöst und der Stumme redete richtig. Im Matthäusevangelium ist von einer Frau erzählt,  die jahrelang unter Blutfluss litt, und die den Saum vom Gewand Jesu berührte und zu derselben Stunde gesund wurde. In einer anderen Geschichte öffnete Jesus durch Berührung die Augen. Oder Jesus streckte seine Hand aus und rührte den Aussätzigen, den Unberührbaren, an und er wurde gesund. Und später heißt es sogar, alle, die ihn berührten, wurden gesund. Kinder wurden zu Jesus gebracht, damit er sie anrührte.  Berührung hilft auch auf. Als die Jünger bei Jesu Verklärung vor Schreck auf ihr Angesicht fielen, rührte Jesus sie an und sagte: Steht auf und fürchtet euch nicht!

Solche Art Berührung geschieht in der Begegnung mit Gottes Wort und Segen, und das besonders an den entscheidenden Meilensteinen oder Wendepunkten unseres Lebens.

 

Doch nicht jede Art Berührung tut gut. Im Hebräischen kann das Verb „berühren“ auch „schlagen“ bedeuten. Und das Hauptwort dazu bedeutet: „der Schlag“ oder auch „die Plage“ (die zehn Plagen von Ägypten sind so benannt). Deshalb ist die Art oder die innere Einstellung in der Berührung von Bedeutung.

Es geht also nicht um ein Schubsen, Anfahren oder Wehtun, auch nicht um den Befehl: Rührt euch!, und schon gar nicht um ein Glattrühren von Unebenheiten im Leben oder um ein Unterrühren von Konflikten. Sondern Jesus lehrt uns ein „Berührtsein“ und eine Berührung, die zu Herzen geht, die uns nicht gleichgültig lasst, sondern wo uns das Schicksal anderer nahe geht. Eine Berührung, die uns außerdem aufhilft und heilt. Eine Berührung, die uns mit anderen im guten Sinne in Verbindung bringt.

 

Wie schwer es is, auf Berührungen verzichten zu müssen, haben wir in den letzten Monaten in der Coronazeit erlebt. Viele Menschen sehnten und sehnen sich so nach Umarmung und nach fühlbarer Nähe.  

Es fällt mir nach wie vor schwer, Menschen nicht mit Handschlag zu begrüßen. Es ist fast unerträglich, beim Kondolieren am Grab auf Berührung verzichten zu müssen. Gern habe ich meine Konfirmand*innen am Ende des Unterrichts per Handschlag verabschiedet, da ist auch noch das eine oder andere persönliche Wort gefallen oder man hat es leichter gemerkt, wo jemand bedrückt war. Und wie schön war es, Menschen, die mir lieb sind, endlich wieder nach dem Impfschutz in den Arm nehmen zu können. Eine Berührung kann oftmals mehr sagen als Worte, beim Gratulieren wie beim Trösten.

 

27 Jahre lang habe ich hier meinen Dienst in Ratekau getan als Ihre und eure Pastorin, davor war ich fünf Jahre in Norderstedt und zwei Jahre im Vikariat in Hamburg. Ich glaube, dass „berühren“ und „anrühren“ ganz wichtige Worte für diesen Dienst sind.

Viele Schicksale hier aus den Lebensgeschichten haben mich berührt nicht nur bei Beerdigungen, sondern auch bei dem, was junge Paare und Familien, Jugendliche, Kinder oftmals schon durchgemacht haben. Da erfuhr ich von manchen Erlebnisse mit Berührungen, die eher wie ein Schlag ins Gesicht oder eine Plage waren. Da führten leidvolle Berührungen eher dazu, dass das Leben wie gelähmt verlief, ein Mensch sich nicht rühren konnte. Eine ganz starke Sehnsucht nach einer liebevollen Berührung war dann spürbar, eine Berührung, die aufrichtet.

Zu helfen, einen Wunsch auszusprechen, oder ein Tabuthema in einer Familie auf den Tisch zu legen, Zeit, ein Kompliment, Geduld oder eine richtige Frage und dann zusammen aushalten, was kommt,

das eröffnet gute Berührungserfahrungen.

Das habe ich versucht.

Ich denke da als ein Beispiel in Rahmen einer Beerdigung an eine Begegnung zwischen einer alten Mutter und ihren Kindern, wo ich einen langen Wunsch der Frau gegenüber ihren Söhnen aussprechen konnte. Die wussten nichts von diesem Wunsch, aber wollen ihn gern erfüllen. Diese Frau hatte nie gelernt, sich etwas  wünschen zu dürfen.

Es war aber auch berührend, wenn über die gemeinsame Zeit im Konfirmandenunterricht Vertrauen gewachsen ist, dass Jugendliche ganz persönliche Erlebnisse erzählen konnten, ohne dass jemand dazwischenredete oder einer darüber lacht. Einen Raum zu schaffen, der Mut macht, Berührendes auszusprechen, kann helfen, statt immer cool und stark und „in“ sein zu müssen, ein Gespür für barmherzige Berührung zu entwickeln. Ich danke da insbesondere den Jugendlichen, die auch Trauersituationen im Unterricht erzählt haben.

Anrührend war es auch, wenn ich bei Taufgesprächen erfuhr, dass manche so gar keine liebevolle Kindheit hatten und trotzdem gern Eltern wurden und es jetzt für ihr Kind bewusst anders versuchen wollten und gut im Austausch darüber waren. Die Taufe war da auch ein stärkendes Ritual für die Eltern.

Berührt hat mich auch, wenn jemand auf mich Acht gab. Am Ende einer Konfirmandenfreizeit saß ich einmal völlig erschossen im Bus auf der Rückfahrt und ein Konfirmand drehte sich besorgt zu mir um und fragte: Geht es Ihnen gut, Frau Dittmann? Konfirmanden sind einfach klasse!

Kinder sprachfähig zu machen für Freud und Leid ist auch ein Teil im Kindergottesdienst, für den mein Herz ja besonders schlägt. Bei der Runde mit den Steinen für Belastendes aus der Woche haben die Kinder viele schwere Lasten ein Stück mit ablegen können. Und das zu fördern und Belastendes mit anderen zu teilen, bestärkt es, dass wir Menschen werden, die Berührung in der Begegnung mit anderen zulassen.

Zu Herzen gegangen ist es mir außerdem, wenn wir einen Ausflug gemacht haben und am Ende des schönen Tages im Bus: „Guten Abend, gute Nacht“ gesungen haben.

Sie haben gemerkt, ich habe den Bogen der Berührungen vom Anfang mit den Amtshandlungen noch viel weiter gefasst.

Es ist gut, an den Schaltstellen und Brennpunkten des Lebens vor Gott zu treten und ihn an unserer Seite zu wissen. Ein ganz entscheidendes Angebot unserer Kirche. Mit Gott zu leben und die Geborgenheit auch zu genießen und sich gehalten zu wissen, ist aber weit darüber hinaus ein Angebot für alle Tage.

Ich bin fest davon überzeugt, dass kirchliche Gemeinschaft und gefeierter Glaube uns so anrühren und berühren, dass es uns aufrichtet und ermutigt. Wenn wir unser Miteinander liebevoller und solidarischer gestalten wollen, dann brauchen wir genau das. Und dann wächst unter uns eine liebevolle Verbundenheit, die Gott sich für uns Menschen wünscht und die Jesus vorgelebt hat.

Dafür ist die Kirche eine ganz entscheidende Größe unserer Gesellschaft, notwendig und Not wendend  und das nicht nur für alle Lebensphasen und nicht nur vor Ort, sondern auch als Stimme für mehr Barmherzigkeit auf allen Ebenen. Das gilt genauso weltweit, in diesen Tagen wieder besonders in Flüchtlings- und Menschenrechtsfragen und im Eintreten gegen den Klimawandel mit seinen katastrophalen Auswirkungen.

In diese Richtung habe ich hier 27 Jahre gearbeitet mit so vielen von Ihnen und euch zusammen, denn das macht Kirche aus. Viele — aus allen Generationen — engagieren sich in unserer Gemeinde für andere, und gewinnen dabei auch selbst etwas für ihr Leben. Vielen Dank für die Jahre zusammen, für so viel Berührendes, für so viel Nähe und Vertrauen, für Rat und für Rückhalt.

Das, was zu Herzen gegangen ist dabei, wird bleiben und viele Erinnerungen an schöne Erlebnisse. Und nun kommt neuer, frischer Wind, doch auf dem gleichen Fundament, das Christen seit 2000 Jahren verbindet. Es geht weiter, aber anders. Mit dem Segen Gottes darf ich heute in den Ruhestand gehen und mit dem Segen Gottes geht es für Sie und euch gemeinsam mit Pastorin XXX weiter in die Zukunft unserer Kirchengemeinde Ratekau. Und dass das Spaß machen kann, zusammenführt und verbindet, habe ich versucht in dem Bild darzustellen, was ich für euch gemalt habe und mit dem ich mich aus der Gemeinde verabschiede. Sie haben es als Postkarte erhalten und sehen es hier vorn. Ein fröhliches, buntes Miteinander rund um unsere schöne Feldsteinkirche, die kein Museumsgebäude ist, sondern lebendige Kirche.

Und auch, wenn Sie und ich bald an verschiedenen Orten sind, werden wir weiter aus der Berührung mit Gottes Liebe Kraft schöpfen können und Menschen weiterhin im Sinne Jesu berühren. Und das wird heilsam, barmherzig und wohltuend sein und bleiben für die, denen wir uns zuwenden, aber auch für uns. Und von diesen wunderbaren Erfahrungen wünsche ich Euch ganz, ganz, ganz viele.  Amen.

 

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