Predigt Haßbergen 7. September 2025

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Schöpfer und Erlöser. Amen.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in der Apostelgeschichte des Lukas.

Apg 3,1-10

Einmal gingen Petrus und Johannes zum Tempel.

Es war um die neunte Stunde,

die Zeit für das Nachmittagsgebet.

Da wurde ein Mann herbeigetragen,

der von Geburt an gelähmt war.

Tag für Tag setzte man ihn

an das Tor zum Tempelvorhof,

das die »Schöne Pforte« genannt wird.

Dort sollte er bei den Tempelbesuchern

um eine Gabe betteln.

Der Mann sah Petrus und Johannes,

als sie gerade in den Tempel gehen wollten.

Er bat sie um eine Gabe.

Petrus und Johannes blickten ihn an,

und Petrus sagte: »Sieh uns an!«

Der Gelähmte sah zu ihnen auf

und erwartete, etwas von ihnen zu bekommen.

Doch Petrus sagte: »Gold und Silber habe ich nicht.

Aber was ich habe, das gebe ich dir:

Im Namen von Jesus Christus, dem Nazoräer:

Steh auf und geh umher!«

Petrus fasste den Mann bei der rechten Hand

und zog ihn hoch.

Im selben Augenblick kam Kraft

in seine Füße und Gelenke.

Mit einem Sprung war er auf den Beinen

und machte ein paar Schritte.

Er folgte Petrus und Johannes in den Tempel.

Dort lief er umher, sprang vor Freude und lobte Gott.

Das ganze Volk sah, wie er umherlief und Gott lobte.

Sie erkannten in ihm den Bettler,

der immer an der Schönen Pforte des Tempels

gesessen hatte.

Sie staunten und konnten nicht fassen,

was mit ihm geschehen war.

 

Liebe Gemeinde!

Der Predigttext erzählt eine Geschichte. Dies hat mich auf die Idee gebracht, die Predigt als Geschichte zu verfassen. Ich stelle mir vor, wie Menschen damals dies Ereignis erlebt haben, wie es sie verändert hat und was und wie sie uns davon erzählen könnten. Darum habe ich folgenden Brief geschrieben und diesem zuzuhören, lade ich Sie und euch herzlich ein.

Liebe Gemeinde, wo auch immer!

Mein Name ist Lydia. Das, wovon ich erzählen möchte, geschah kurze Zeit, nachdem ich mit meinem Mann nach Jerusalem gezogen war und das war einige Woche nach dem Passahfest im Jahre 33.

In dieser wunderschönen Stadt Jerusalem hatte wir gute Freunde und mit meiner Freundin Phoebe besuchte ich von Anfang an fast täglich den Frauenbereich beim Tempel.

Als wir eines nachmittags zum Gebet in den Tempel gingen, geschah dort etwas Wunderbares. Er hat mich so bewegt und beeindruckt, dass ich es unbedingt weitererzählen muss.

Phoebe und ich kamen zu den Stufen, die zum Tempel führten. Schon von Weitem sah ich den gelähmten Mann dort sitzen und betteln. Ich kannte ihn zwar nur vom Vorübergehen und manchmal gab ich ihm auch eine kleine Münze, doch wusste ich schon einiges mehr von ihm.

Phoebe hatte es mir erzählt. Der Bettler war schon von Geburt an behindert und saß schon seit Jahren am Tempeltor. – In gewisser Weise war Jerusalem eben wie ein Dorf, man wusste so einiges voneinander und es gab viele Geschichten. – Natürlich gab es mehrere Bettler auf den Tempeltreppen, aber dieser war jeden Tag da, wurde gebracht und abgeholt.

Als wir auf den Stufen kurz im Gespräch stehenblieben, überholten uns zwei Männer. Auch sie waren Phoebe bekannt. „Das sind Petrus und Johannes,“ flüsterte sie mir zu. „Sie gehören zu diesem Jesus aus Nazareth, von dem ja Unglaubliches erzählt wird.“ Ich kannte noch nicht so viele Geschichten über diesen Jesus, natürlich wusste ich, dass er gekreuzigt worden war – und angeblich auferstanden sein soll. Aber wer kann das schon glauben?!

Wir schauten den beiden hinterher. Sie waren nun nahe beim bettelnden Gelähmten. Er hielt die Hand auf und schaute verstohlen zu Boden. Leise murmelte er: „Eine milde Gabe, bitte.“ Die beiden Männer blieben stehen.

Eigentlich wollte Phoebe und ich weitergehen, doch meine Freundin bremste nun meinen Schritt und sagte: „Mal abwarten“, und ihre Kopfbewegung zeigt, dass sie sehen wollte, was nun geschah. Petrus und Johannes blickten den Bettler an. Doch er schaute weiter herab. Da sagte einer der Männer:“ Sieh uns an!“ Der Kranke hob langsam den Kopf und blickte überrascht und erwartungsvoll in die Gesichter dieser Männer.

Ich erschrak etwas, als ich sein Gesicht sah, denn mir wurde mit einem Mal bewusst, dass ich ihm, obwohl ich seit einiger Zeit fast täglich an ihm vorbeigegangen bin, noch niemals sein Gesicht gesehen hatte.

Es war ein trauriges Gesicht, und er musste doch noch jünger sein, als ich dachte. Ich sah ein kleines hoffnungsvolles Blitzen in seinen Augen, als er dieser Männer sah. Wohl, weil deren Verhalten auf eine größere Spende hoffen ließ. Und dann fiel diese Hoffnung wieder in sich zusammen. Auch ich erschrak etwas bei den Worten: „Silber und Gold besitze ich nicht.“ Was für eine Enttäuschung. Und dann kann dieser ungeheuerliche Satz hinterher: „Doch was ich habe, das gebe ich dir, im Namen Jesu Christi, geh umher!“ Wieder spürte ich Phoebes Hand an meinem Arm. Ich schaute sie an und bemerkte, dass sie aufgeregt und entsetzt war.

Und was dann geschah, was ja auch unglaublich. Der Mann, der Petrus hieß, fasste den Gelähmten an der rechten Hand und richtete ihn auf. Und der Behinderte fiel nicht nieder. Er konnte stehen, ging umher, ja sprang sogar. Neben mir sackte Phoebe in sich zusammen. Als ich mich zu ihr herabbeugte, sah ich aus den Augenwinkeln den ehemals gelähmten Mann nun mit diesen Jesusmännern im Tempel verschwinden.

Phoebe brauchte etwas länger, um sich zu erholen. Ich brachte ihr einen Schluck Wasser und wir saßen noch eine Weile zunächst stumm auf den Tempelstufen.

Dann hörten wir aufgeregte Stimmen. „Hast du gesehen, er sprang herum.“ „Von Geburt an gelähmt und nun auf einmal!“ „Und Gott hat er gelobt. Selten habe ich jemanden so Loblieder singen gehört!“ Die Stimmen gehörten Menschen, die aus dem Tempel kamen. Sie gingen an uns vorbei. Ihre Schritte waren schneller als sonst und ihre Bewegungen hektisch. „Sie haben ihn auch gehen sehen“, sagt Phoebe. „Das erste Mal“, dachte ich.

Dann sahen auch wir den Gelähmten aus dem Tempel kommen. Er sprang die Treppen hinab und sang laut, lobte Gott mit einer Stimmkraft, die ich ihm nie zugetraut hätte. Er erschien mir wie neugeboren.

Dies Erlebnis ließ mir keine Ruhe. Im Namen Jesu haben sie geheilt! Was macht dieser Glaube möglich? Ist doch etwas dran an der Auferstehung, an der Kraft zu neuem Leben? Ich wollte mehr wissen und fragte Phoebe aus, was sie über diesen Jesus wusste. Und dann haben wir gemeinsam den Predigten dieser beiden Apostel gelauscht.

Dies alles veränderte mich. Mehr und mehr hinterfragte ich mein Denken und Tun auf das, was ich von Jesus hörte und was er lehrte, lebte und getan hatte. Dabei lernte ich, Menschen neu zu betrachten und Zusammenhänge aus mehreren Blickwinkeln zu sehen. Ich fragte mich, wie mein Handeln Menschen nützlich sein könnte, dass es nicht nur kurz hilft, sondern sie in ihrem ganzen Leben stärken könnte. In diese Richtung versuchte ich mein Leben zu gestalten.

Wenn Phoebe und ich nun zum Tempel gehen, lassen wir uns auf den Stufen mehr Zeit für die, die um Hilfe rufen. Wir geben ihnen manchmal Geld, aber mehr noch etwas von unserer Zeit. Und wir kennen von vielen nun nicht mehr nur Geschichten über sie, sondern wir kennen auch ihre eigene Geschichte und sie selbst. Mit einigen haben wir sogar neue Freundschaften geschlossen.

Ich habe dabei für mich erkannt, dass es viele andere Begegnungen gibt, wo ich Menschen nicht ins Gesicht sehe oder es erst gar nicht will. Dort, wo ich den Blick von Angesicht zu Angesicht nun schon gewagt habe, ist vieles ehrlicher und echter geworden und manches Urteil, dass ich schon gefällt hatte, konnte ich mit dem Blick im Namen Jesu nicht mehr aufrechterhalten. Und einige ungesunde Beziehungen in meinem Umfeld wurden heiler.

Längere Zeit danach traf ich den ehemals Gelähmten auf den Stufen zum Tempel. Ich sprach ihn an und erzählte ihm, dass ich seine Heilung damals beobachtet habe. „Und das mir“, sagte er mir im Gespräch.“ Ich war kein Jesusanhänger und auch kein besonders gläubiger Jude. Die Heilung geschah ohne Vorleistung, ohne Bedingung. Es war ihr Glaube, der Glaube von Petrus uns Johannes, der mich heilte.“

„Vielleicht kann unser Glaube an Jesus auch anderen helfen,“ sagte ich ihm daraufhin.

Phoebe und ich wurden keine Wunderheilerinnen und keine Heiligen, eher Fragende und Versuchende. Doch dies hat das für uns und andere schon mehr hin zu einem erfüllteren Leben verändert, als wir dachten.

Und so haben wir es, wie viele andere Männer und Frauen, die an Jesus glauben, an die folgenden Generationen weitergetragen, dass wir alle versuchen im Namen Jesu zu leben, zu fragen, zu denken, zu handeln und Menschen anzusehen von Angesicht zu Angesicht.

Ich habe aber erfahren, dass dies in den Jahren schon mehr Menschen bewegt hat, mehr Menschen aufgerichtet und gestärkt hat, als ich es je für möglich gehalten hätte. Darüber freue ich mich und hoffe, dass diese Bewegung niemals endet. So bitte ich euch, erzählt diese Geschichten immer wieder und wieder. Eure Lydia

 

Wir können dieser Lydia nicht direkt antworten. Selbst, wenn es sie gegeben hätte, wäre sie schon lange tot. Doch ich hoffe, dass wir mit unserem Leben als Christinnen und Christen der Freude und der Hoffnung Antwort geben, die viele Menschen – so wie die erdachte Lydia – mit dem Evangelium verbunden haben. Dass wir als Gemeinde Jesu Christi weitertragen, was Generationen vor uns Menschen bewegt und gestärkt hat zum Leben, und dass wir von der heilsamen Kraft des Glaubens etwas unter uns spürbar machen können. Ich wünsche mir auch, dass wir versuchen, Menschen, denen wir begegnen, ins Gesicht zu sehen, und erkennen lernen, welche Hilfe unsere Nächsten wirklich brauchen. Und ich hoffe, dass wir uns über die Fülle des Lebens, an der wir dann Anteil haben, von Herzen freuen können und diese Freude auch zeigen. Amen.

 

 

Predigttext

Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Ich lese den Predigttext noch einmal in der Übersetzung der Basisbibel  – Lesen Mk 2,1-12 –

Ein paar Tage später kam Jesus nach Kapernaum zurück. Es sprach sich herum, dass er wieder zu Hause war.2Daraufhin strömten so viele Menschen herbei, dass der Platz nicht ausreichte –nicht einmal draußen vor der Tür. Jesus verkündete ihnen das Wort Gottes.

3Da brachten Leute einen Gelähmten zu Jesus. Er wurde von vier Männern getragen.4Aber wegen der Volksmenge konnten sie nicht bis zu ihm vordringen. Deshalb öffneten sie das Dach genau über der Stelle, wo Jesus war. Sie machten ein Loch hinein und ließen den Gelähmten auf seiner Matte herunter.5Jesus sah, wie groß ihr Glaube war, und sagte zu dem Gelähmten: »Mein Kind, deine Sünden sind dir vergeben.«

6Es saßen aber auch einige Schriftgelehrte dabei. Die dachten:7»Wie kann er so etwas sagen? Das ist Gottes-lästerung! Nur Gott allein kann Sünden vergeben.«8Doch Jesus wusste sofort, was sie dachten. Er sagte zu ihnen: »Warum habt ihr solche Gedanken?9Was ist einfacher? Dem Gelähmten zu sagen:› Deine Sünden sind dir vergeben‹, oder: ›Steh auf, nimm deine Matte und geh umher‹?10Aber ihr sollt sehen, dass der Menschensohn von Gott Vollmacht bekommen hat. So kann er hier auf der Erde den Menschen ihre Sünden vergeben. «Deshalb sagte er zu dem Gelähmten:11»Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Matte und geh nach Hause.«12Da stand der Mann auf, nahm rasch seine Matte und ging weg – vor ihren Augen. Sie gerieten außer sich, lobten Gott und sagten: »So etwas haben wir noch nie erlebt.«

Liebe Gemeinde!

Schauen wir einmal auf die Personen der Geschichte.

Markus erzählt von einem Gelähmten. Er ist bewegungs-unfähig, liegt auf einer Matte, ist lahmgelegt. Er ist abhängig von anderen, unfähig für sich selbst zu sorgen, erscheint blockiert in seiner Sprache. Er ist passiv, vielleicht gleichgültig, vielleicht sogar ungläubig. Er ist willenlos, lässt Riskantes mit sich geschehen. Und schließlich ist er der, der bewegt wird, zunächst getragen, und dann trägt er sich mit seinen eigenen Beinen. Der Gelähmte – es hat ein gutes Ende mit ihm. Der Gelähmte wird – vielleicht sogar unverdient – der Geheilte.

 

Markus erzählt auch von vier Trägern. Es waren wohl Freunde des Gelähmten. Diese Vier haben einiges zu tun – mit ihren Händen und ihrer Körperkraft, aber auch mit ihrem Kopf. Der Gelähmte muss getragen, der Durchbruch durch die Menschenmenge probiert werden. Dies misslingt. So müssen sie Einfälle haben, Mut zeigen, Ideen suchen und Risikobereitschaft an den Tag legen. Der Weg über das Dach wird gefunden. Fremdes Eigentum wird auf dem Weg zu Jesus kaputtgemacht. Nur konzentriert auf das Vorhaben, dem Freund zu helfen, mit festem Willen und einer Menge Kraft gelingt es, den Kranken zu Jesus zu bringen. Die Träger sind uneigennützig und voller Vertrauen zur Person Jesu. Dies wird von Jesus erkannt. Ihr Vertrauen zeigt sich als gerechtfertigt. Es hat geholfen, dass sie – durch ihre Aktion auf dem Dach – Licht auf die Situation des Gelähmten warfen.

 

Weiter berichtet Markus von der Menge, ein unübersichtlicher Pulk von Einzelgängern, denen es nur darum geht, Jesus am nächsten zu sein. Aufdringlich, bis in ein fremdes Haus hinein wird vorgerückt. Drinnen ist vielleicht ein Kampf um die besten Plätze, nach außen aber herrscht Geschlossenheit – wie ein Block, sie schotten sich ab gegen die herannahenden Freunde des Gelähmten. Aus Angst, den erkämpften Platz zu verlieren, werden die Menschen in der Menge unfähig, auch nur einen Schritt zur Seite zu gehen. Erst der herabgelassene Gelähmte bewegt sie ein Stück. Die Sündenvergebung entlockt ihnen keine Reaktion, erst der sichtbaren Handlung folgt das Staunen und Loben. Wunderbarerweise ist dann da auf einmal auch Platz für den Geheilten hinauszugehen.

 

Markus zeigt uns außerdem einen Jesus, der eigentlich nach Kapernaum kommt, um Simon zu besuchen. Jesus, der sich zurückzieht in das Haus, der seine Ruhe haben will. Es wird aber bekannt, dass er da ist, und sofort wird er von vielen Menschen bedrängt. Und obwohl er sich zurückziehen wollte, verkündet er dann allen die frohe Botschaft. Als sich die Träger vertrauensvoll an ihn wenden, nimmt er sich ihr Anliegen zu Herzen. Ihr Vertrauen ermöglicht Jesus die Vergebung der Sünden und die Heilung des Kranken.

 

Schließlich erzählt Markus noch von den Schriftgelehrten, die dem Handeln Jesu dazwischenfunken mit ihren Gedanken. Es sind die Privilegierten, sie genießen Vorrechte. Wo alle stehen und drängeln, da haben sie noch einen Platz zum Sitzen. Die Schriftgelehrten sind zuständig für theologisches Denken und Handeln, für die Einhaltung der Gebote. Sie wollen aufpassen, was hier passiert. Und tatsächlich, der Glaube scheint in Gefahr, Gott wird angegriffen, weil Jesus sich anmaßt, Sünden zu vergeben. Es regt sich in ihnen Widerstand. Doch noch bevor sie etwas sagen und tun können, nimmt ein anderer, nämlich Jesus, das Gespräch in die Hand. Und er lässt den Schriftgelehrten keine Zeit zum Widerspruch. Zum Lobpreis Gottes nach der Heilung des Gelähmten wird es ihnen die Sprache verschlagen haben.

 

Als ich die verschiedenen Rollen in der Geschichte durch-dachte, überlegte ich, wer ich wohl gern gewesen wäre: der Gelähmte, ein Träger, eine in der Menge, Jesus oder ein Schriftgelehrter. Die Entscheidung fiel schnell und mir leicht.

Gern wäre ich eine der Personen, die den Gelähmten tragen. Die Kraft und den Mut wünschte ich mir: anderen, wenn es nötig ist, einmal aufs Dach zu steigen – Hindernisse einzureißen. Auch würde ich meine Eigennützigkeit gern aufgeben können, mehr für andere da sein wollen. Die Konzentration auf das wirklich Wichtige und das feste Vertrauen der Freunde auf Jesus, das wünsche ich mir auch.

 

Dann habe ich mich gefragt, zu welcher Personengruppe ich mich denn wirklich zählen müsste. Da, – muss ich zugeben -, könnte ich eher bei den Schriftgelehrten sein. Bin ich nicht zu bequem? Schaue ich nicht oft lieber zu – zwar mit ernstem Interesse, wie die Gelehrten hier – und denke mir dann meinen Teil im Stillen? Bin ich nicht zu festgefahren oder zu traditionell in meinem Denken? Ist mir das nicht lieber, als Bahnbrechendes für andere zu arrangieren? Ist mein Denken nicht oft zu traditionell und festgefahren? Ich bin doch ziemlich vom Sicherheitsdenken geprägt und meine Risikobereitschaft ist nicht so groß.

 

Und wenn ich die Rollen in der Geschichte so einordne, fällt mir auf, dass ich so unbeweglich bin wie der Gelähmte in der Geschichte. Und genauso bewegungsunfähig sind eigentlich auch die Menschen in der Volksmenge, die keinen Schritt tun mögen, um ihren erkämpften Platz nicht zu verlieren. Auch die Schriftgelehrten sind unbeweglich in ihrem Denken. So finden sich also noch mehr Gelähmte in der Geschichte als nur der eine.

 

Spinne ich diesen Gedanken weiter – auch über die Geschichte hinaus – dann fallen mir noch viel mehr Gelähmte, Unbewegliche und Lahmgelegte auf. Ich denke dabei an Menschen, die nur noch an sich denken können und andere nicht mehr beachten. Ich denke an Gleichgültige, die lieber nicht mehr über etwas nachdenken wollen; und an Einsame, Traurige und Unsichere, die es nicht schaffen, für sich selbst zu sprechen, die sich nicht mehr aus sich und ihrem sicheren Umfeld heraus trauen. Ich denke an Menschen, die in Rollenbildern verhaftet sind, die sie daran hindern, sich zu hinterfragen. Dann können sie sich aber auch nicht weiterentwickeln.

 

Was kann das aber sein, was mich oder andere hindert, in Bewegung zu geraten? Was hindert mich daran, das zu tun, was ich eigentlich möchte, wie, hier in der Geschichte, ein Freund zu sein? Was lähmt mich?

Von mir kenne ich viele Ängste, die mich immer wieder lähmen. Da ist die Angst, etwas falsch zu machen, die Angst, zu kurz zu kommen – die Angst, anderen nicht zu gefallen. Dazu kenne ich die Angst, Schuld auf mich zu laden, oder die Angst, verletzt zu werden. Auch habe ich Angst davor, mich eventuell ändern zu müssen, Gewohnheiten zu verlassen. Ich kenne auch die Angst, dass ich Ansprüchen nicht genügen kann und Angst davor, dass jemand nach meinen Fehlern fragt, nach dem, was bisher in meinem Leben alles schief gegangen ist, oder wo ich nicht genug geleistet habe.

 

Schaue ich so auf die Geschichte, lese ich sie neu. Ich erkenne, dass Markus mit ihr alle Menschen, die wie gelähmt leben, und in Ängsten verhaftet sind, zu Jesus trägt. All die Unbeweglichen, die Resignierten, die Ängstlichen.

Ich lasse mich einmal darauf ein und sehe mich mit meinen Lähmungen anstelle des Gelähmten. 

So unbeweglich, wie ich bin, liege ich vor Jesus und er sagt zu mir: „Kind, deine Sünden sind vergeben.“

Jesus überrascht mich. Er hat gar nicht gefragt, was in meiner Vergangenheit war. Er verlangt keinen Leistungsnachweis der guten Taten. Er hat keine Rede geschwungen, was ich tun oder lassen soll, oder darüber, wo ich versagt habe. Liebevoll hat er sich mir genähert. Er hat mich angenommen, wie ich bin. „Kind“ hat er zu mir gesagt. Das geht mir ganz nah. Er vergib mir meine Fehler, meine Schuld, meine Grenzen, meine Unzulänglichkeiten, an denen ich so oft zu scheitern drohe.

Seine Worte lösen eine Blockade in mir. Ein kleiner Ruck, ich gerate in Bewegung. Ich löse mich aus dem Festgefahrenen, kann mich verändern. Ich überdenke und erneure mein Verhalten zu anderen Menschen, zu meiner Umwelt. Ich traue mich, in mein Spiegelbild zu schauen und fest in das Gesicht des anderen. Ich entwickle mich.

Über das, was mich lähmt, will ich mit anderen sprechen. Und andere besser verstehen, die festgefahren sind. Ich habe den Mut, Fehler zuzugeben und lerne zu vergeben. Wunderbare Schritte auf neuen Wegen.

 

„Kind, deine Sünden sind vergeben“. Das sagt uns der, der zu allen Gelähmten auch das sagt: „Steh auf und geh!“ Als Kind Gottes kann ich immer wieder neu anfangen, neue Wege einschlagen und Ängste ablegen.

So bleibe ich ganz aufmerksam, was noch weiter in mir entsteht und wächst, wenn ich Jesu Zusage folge. Sicher komme ich dabei auch einmal ins Staunen, was Gott mir möglich macht und was er mich erleben lässt. Ich bin gespannt auf meine Einfälle und meinen Mut, die er mir möglich macht. Und ich will auch für andere auf dem Weg zu Jesus Hindernisse einreißen, andere auch tragen lernen, anderen helfen, ihre Not und Schwierigkeiten stärker sichtbar zu machen und vor Gott und die Welt zu bringen. Ich wage es, wie einer der Freunde des Gelähmten werden. Das ist wie ein Aufatmen.

Ich glaube, dass diese Geschichte von der Heilung des einen Gelähmten uns alle in Bewegung setzen will auf einen hoffnungsvollen Weg. Wir dürfen von uns absehen, über Schatten springen, staunen, was geht.

Jesus sagt zuerst: „Kind, deine Sünden sind vergeben“ und dann: „Steh auf und geh!“ Amen.

 

 

 

 

 

 

 

Erzählpredigt zum barmherzigen Samariter

© Anke Dittmann

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Erlöser. Amen.

Liebe Gemeinde!

 

Ich möchte Sie heute zur Geschichte vom barmherzigen Samariter zu einer kleinen Erzählung einladen, die uns in die Zeit Jesu führt:

 

In Jerusalem sah ich einen Kaufmann in der Schänke sitzen. Um ihn herum waren viele Männer, die die Ohren spitzen. Auch ich wollte seine Geschichte hören.  Der Mann war gut gekleidet, schien wohlhabend zu sein. Was hatte er zu erzählen? Es gelang mir ganz nah an ihn heranzukommen. Seine Stimme zog mich in den Bann.

 

„Jeder kennt meine Geschichte“, begann er, „aber keiner kennt meinen Namen. Aber eigentlich glaubt nur jeder meine Geschichte zu kennen, denn selten wird sie ganz erzählt. Hört zu:

 

Ich bin ein Kaufmann, oft muss ich den Weg von Jerusalem nach Jericho gehen und von Jericho nach Jerusalem. Ihr wisst, der Weg ist gefährlich. Seit immer mehr Menschen in unserem Land verarmen, hat sich die Zahl der Überfälle erhöht. Gerade die Zeloten, die Widerstandskämpfer gegen die Römer, liegen dort oft auf der Lauer, aber auch hungernde Bauern, denen man das Land geraubt hat. Ich war allein, hatte gerade gute Geschäfte gemacht. Meine Ware wollte ich schnell nach Jericho bringen, dort wartete ein guter Kunde, der war Gold wert. 

Als ich dort meine Straße zog, hörte ich auf einmal ein Stöhnen. Es klang jämmerlich. Dann sah ich hinter einem Felsen am Straßenrand ein paar Beine hervorgucken. Ob das eine Falle war? „Hilfe“, hörte ich dann jemanden rufen. Falle oder Hilferuf? Ich war unsicher. Da ich unter Zeitdruck war und an mein Geschäft dachte, ließ ich die Rufe hinter mir und ging weiter. Vielleicht kamen ja andere, dachte ich. 

Auf dem weiteren Weg wurden mir die Schritte schwerer und ich hörte die kläglichen Rufe immer noch, obwohl ich längst außer Reichweite war. Egal, ich muss an mich und meine Familie denken. 

Meine Geschäfte in Jericho liefen planmäßig, es kam sogarnoch mehr Geld raus, als ich gedacht hatte. Meine Familie freute sich später mit mir über den guten Verdienst. Bald ging ich wieder zu ihnen nach Jerusalem zurück.

Man kann ja nicht die ganze Welt retten, dachte ich auf dem Rückweg, als ich an der Stelle vorbeikam, wo ich die Hilferufe gehört hatte. Es war niemand mehr da.

Ich vergaß die Sache. 

Und dann hatte ich wieder so gute Ware erhalten, die ich in Jericho noch besser würde verkaufen können. Ich zog los mit meinem Lastesel. Wie immer allein, dann war der Gewinn am höchsten. Doch diesmal meinte das Schicksal es nicht gut mit mir. Zwischen kleinen Büschen und Felsen stürzten sich Räuber auf mich. Ich bekam einen harten Schlag auf den Kopf und fiel zu Boden. An mir wurde herumgerissen und ich wurde getreten, mein Esel schrie mürrisch auf und sein Rufen wurde dann immer leiser.  Ich sah ihn nie wieder. Ich fiel in Ohnmacht und wurde erst wieder wach, als die Sonne hoch am Himmel stand. Alles tat mir weh, meine Zunge klebte am Gaumen. Ein Himmelreich für ein Schluck Wasser, dachte ich. 

Dann hörte ich jemanden kommen. Endlich Hilfe. Ich stöhnte auf. Doch der Mann, dessen Gewand fast mein Gesicht streifte, ging einfach weiter. Wirklich, er sah mich da liegen und ging weiter! Sein Gewand war schön, wie es die Priester im Tempel tragen. Das kann nicht sein, dachte ich und dann war wieder alles dunkel. 

Wieviel Zeit dann vergangen war, weiß ich nicht, aber ich hörte wieder etwas. Jetzt aber, dachte ich. Jetzt aber! Doch wieder kamen und gingen die Schritte als wäre ich nichts. Mein Ende! Es wurde wieder dunkel um mich. 

Plötzlich aber spürte ich auf einmal den Atem eines Tieres. Ich schreckte auf! „Ruhig, nur ruhig“, sagte da jemand neben mir am Boden. „Es ist nur mein Esel.“ Kurz darauf spürte ich einen Wasserschlauch an meinem Mund. Ich lebte, jemand war mir zur Seite. Ich öffnete die Augen. Ein Mann kniete bei mir und wusch mir die Wunden mit Öl und Wein und verband sie. Ich starrte ihn an, es war ein Samariter, unverkennbar war es an der Kleidung zu erkennen. Stellt euch das vor, ein Samariter, mit denen wir doch verfeindet sind. Der half mir. „Viel kann ich nicht tun“, sagte er, „schaffst du es auf meinen Esel? Dann bringe ich dich zum nächsten Gasthof, da kannst du dich erholen.“ Ich versuchte zu nicken, fiel aber wieder in Ohnmacht. 

Erst später erkannte ich, dass ich fiel Blut verloren haben musste, die Verbände waren fast durchgeweicht davon. Der Samariter hat mich irgendwie auf seinen Esel gekriegt. Wie? Keine Ahnung. Dann brachte er mich zur nächsten Herberge. Ich hatte ja aber nichts mehr, weder Kleidung, noch Waren, geschweige denn Geld. Und dann hat er noch, wie ich später vom Wirt erfuhr, alles für mich bezahlt. Als ich erholter war, wurde mir bewusst, dass mir der Fremde das Leben gerettet hatte, der Samariter. Und was hatte ich getan?

 

Es dauerte bis ich wieder ins Geschäft kam. Ich war ganz schön angeschlagen und noch immer habe ich Schmerzen im rechten Bein. Aber wir hatten genug Rücklagen, Gott sei Dank.

Nach Wochen zog  ich wieder los von Jerusalem nach Jericho. Mir wackelten die Knie. Meine Frau wollte, dass mein großer Sohn mitkommt, aber ich wollte unbedingt allein gehen, nur so konnte ich die Angst überwinden. Es ging gut.

Das Geschäft war okay und ich machte mich auf den Rückweg von Jericho nach Jerusalem. Ich ging langsamer als früher wegen dem Bein und auch weil ich nachdenklicher geworden bin. 

Da hat mich doch mit schnellen Schritten ein Levit überholt, ein Gesetzeslehrer. Der hat es aber eilig, dachte ich noch. 

Ein Stück weiter holte mich ein Priester ein, der es auch so eilig hatte, ob die beiden Angst vor den Räubern hatten? Das Gewand kommt mir bekannt vor, dachte ich noch, als er vorbeizog.

Und dann hinter der nächsten Wegbiegung lag ein Verletzter mitten auf dem Weg. Er stöhnte. Ich beschleunigte, so gut es ging, meinen Schritt. Den Priester sah ich gerade noch davonlaufen. „Hey, bleib stehen, rief ich, hier braucht jemand unsere Hilfe!“ Doch der Priester ging weiter. „Um Gottes Willen, bleib stehen“, schrie ich. Da blieb er stehen und drehte sich langsam um. Ich war jetzt bei dem Verletzten, beugte mich herab und gab ihm ein Schluck Wasser. „Räuber“, hauchte er. „Räuber.“ Er zitterte. Sein Zittern übertrug sich auf mich. Ich hatte Mühe von meinem Gewand einen Streifen abzureißen. 

„Hier“, sagte da auf einmal eine Stimme und reichte mit ein Stück Stoff. Ich schaute hoch. Der Priester war tatsächlich umgekehrt. 

Wir versorgten den Mann gemeinsam. Nachdem er sich erholt hatte, hakten wir ihn unter und trugen ihn bis zur nächsten Herberge. Das war anstrengend und ich vermisste meinen Esel. Ich gab dem Wirt ein Geldstück, damit er den Überfallenen pflegte, der Priester gab auch etwas. Dann ging Der Priester mit einem stillen Gruß davon.

Ich trank noch einen Krug Wein. So viel ging mir durch den Kopf. Der Levit musste den Verletzten doch auch gesehen haben, hatte der nur seine Reinheitsgebote im Kopf oder warum ging er vorbei? Und warum war ich damals vorbeigegangen? Ich dankte in Gedanken noch einmal dem Samariter, der nun nicht nur mir damals, sondern durch sein Handeln auch dem Überfallenen heute geholfen hatte. 

Als ich aufbrach, kam ein Samariter in die Herberge. Ich kannte ihn nicht, aber ich grüßte ihn fast überschwänglich. Er schaute mich verwirrt an, grüßte aber zurück. 

Wenn ich jetzt den Weg gehe, habe ich immer etwas mehr Wasser und Stoffbinden dabei. Zum Glück brauche ich es nicht so oft. Benötige ich es nicht, teile ich es mit denen, die mich mit schnellen Schritten überholen. Für ein Schluck Wasser hält jeder an. Manchmal erzähle ich dann auch diese Geschichte. Meine ganze Geschichte von dem Menschen ohne Namen und dem Samariter ohne Namen. Ich werde nie vergessen, dass ich von einem Samariter gelernt habe, wer mein Nächster ist. 

Später habe ich einmal gehört, wie jemand, der mit Schülern durch unser Land zog, Ähnliches erzählte. Und der sagte am Schluss: So geht nun hin und tut desgleichen! Das ist auch meine Botschaft für Euch!

 

Die Geschichte war zu Ende. Ein Moment war Stille um den Mann in der Schänke. Ganz leise fragte einer: Ein Samariter, war das wirklich ein Samariter? Der Mann nickte. Nachdenklich zogen sich die Männer um den Erzähler zurück. Manche tranken noch einen Wein, viele gingen still nach draußen. Mir blieben die Schlussworte im Kopf hängen: So geh nun hin und tue desgleichen! Wo war ich schon überall einfach so vorbeigelaufen. Würde ich beim nächsten Mal helfen?

 

Und der Friede des Gottes, der uns bedingungslos liebt, sei mit uns, dass wir ihn mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit allen Kräften lieben können, so dass er unsere Herzen und unsere Sinne bewahren kann, damit wir unsere Nächsten lieben lernen wie uns selbst. Amen.

Jonatan

Erzählpredigt zu Weihnachten

©Anke Dittmann

Es begab sich aber zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war, da lebte ein junger Hirte mit Namen Jonatan in der Nähe von Bethlehem. Er war noch nicht lange ein Hüter der Schafe. Auf seiner Flucht aus Jericho hatte er Elia getroffen, einen alten Hirten, der ihm Unterschlupf gewährte und ihn schließlich bat, bei ihm zu bleiben. Elia war alt. Er wusste, er konnte die Tiere nicht mehr schützen. Da er keinen Sohn hatte, dem er sein Wissen vermitteln konnte und der einmal seine Tiere übernehmen würde, kam ihm der flüchtige Jonatan sehr zupass. Auch spürte er die Einsamkeit des jungen Mannes, der ohne Zuhause zu sein schien. Doch das allein war ja nicht ungewöhnlich in seiner Zeit.

Elia war ein weiser Alter, er drängte Jonatan nicht, seine Geschichte zu erzählen. Er konnte warten.

Jonatan lebte sich gut ein auf dem kargen Gelände um Bethlehem. Er lernte schnell, erkannte gute Weideplätze, merkte sich die Wasserstellen und war flink mit der Schleuder. Den Umgang mit Waffen war er wohl gewöhnt, beobachtete Elia. Es dauerte nicht lange, bis er herausgefunden hatte, dass Jonatan aus gutem Hause kam. Er konnte lesen und schreiben. Er kannte viele Psalmen auswendig. Und er konnte ebenso gut feilschen auf dem Markt. Elia hatte Vertrauen zu ihm und übergab ihm alles Geld, was er hatte. Es war erstaunlich, was Jonatan daraus für Gewinne zog. Er musste von Kind auf viel gelernt haben. Doch sprach Jonatan immer noch nicht von sich.

Wenn sie abends draußen auf den Feldern blieben, erzählte Elia am Feuer. Jonatan kannte niemanden, der so viele Geschichten in sich trug. Elia kannte die Geschichte Israels und schmückte sie aus wie kein anderer. Wenn Elia die Geschichte Israels lebendig werden ließ, sah Jonatan den König David gegen Goliath kämpfen, er sah Salomos Tempel entstehen, er sah das zerstörte Jerusalem vor sich und die Gefangenen auf ihrem Transport nach Babylon. Elias Geschichten lebten von seinem Glauben. Immer war es der unerschütterliche Gott, der handelte, der Bauten gelingen ließ, der den Kleinen Kraft gab gegen die Großen, der auch strafte, wo Menschen sich von ihm abwandten.

Eines Abends, als Elia die Geschichte von König Kyros erzählte, der als Werkzeug Gottes die Gefangenen Babylons befreite, konnte Jonatan nicht mehr schweigen.

„Du kannst wunderbar  die Geschichten aus alter Zeit erzählen, Elia“, sagte er. „Aber erzähle mir doch bitte einmal, wo heute noch dieser Gott, dem du so vertraust, am Werk ist.“

„Traust du Gott heute nichts mehr zu, Jonatan?“, wollte Elia wissen.

„Wie denn?“ entgegnete dieser ungewöhnlich scharf im Ton. „Er schaut doch nur zu, wie sein Volk zugrunde geht.“

„Er wird uns seinen Retter schicken“, warf Elia ein.

„Wie lange willst du denn noch darauf warten?“ Jonatan machte eine ablehnende Handbewegung, stand auf und ging zu den Tieren. „ich schaue noch einmal nach, ob bei den Schafen alles in Ordnung ist.“

Elia ließ Jonatan gehen. Er verstand seine Sorge, denn auch er wusste um das Elend im Volk.

Am nächsten Morgen musste Jonatan ins Dorf gehen, für die kommenden Tage brauchten sie etwas mehr Proviant. Als er aus Bethlehem zurückkam, hatte er ein verächtliches Lächeln auf den Lippen. „Im Dorf sind sie völlig aufgeregt“, erzählte er Elia. „Augustus hat befohlen, dass alle Menschen in seinem Reich gezählt werden sollen, wegen den Steuern natürlich. Nun muss jeder Mann in den Ort, wo er geborgen wurde. Ein Durcheinander ist das!“

„Wo musst du denn nun hin?“. Fragte Elia.

„Ich?“, entgegnete Jonatan verwundert, „ich bin wie tot, warum sollte ich irgendwo geboren sein? Es wird schon nicht auffallen, wenn ich fehle. Und du?“

„Ich bin hier aus Bethlehem“, antwortete Elia.

„Glück gehabt!“, meinte Jonatan und verschwand auf den Feldern.

Am Abend fragte ihn Elia: „Hast du noch mehr gesehen in Bethlehem?“

„Willst du es wirklich wissen?“, fragte Jonatan zurück.

„Du bist ein kluger junger Mann, hast scharfe Augen und einen klaren Verstand. Du hast es gelernt hinzusehen.“

Jonatan erschrak darüber, dass Elia ihn besser kannte, als es ihm lieb war. „Ich wünschte, ich könnte meine Augen schließen, hätte keinen Verstand und würde wie die Schafe nur einem guten Hirten hinterherlaufen“, sagte Jonatan niedergeschlagen und fuhr fort: „Ich sah römische Soldaten, sie trieben die Menschen wie Tiere auf dem Marktplatz zusammen, damit sie dem Ausrufer zuhörten. Es waren auch Frauen und Kinder dabei, denen das Entsetzen und die Angst im Gesicht standen. Gegen die bewaffneten Römer waren sie wehrlos. Noch mehr Steuern, das heißt, die Menschen werden noch mehr Hunger leiden. Und die Steuern sind doch nur für die vielen Kriege und Eroberungen bestimmt. Wie sind nicht mehr frei, Elia. Und Gott? Ich frage dich, wo ist dein Gott?“

Elia senkte den Kopf und sagte leise: „Auch wenn du mir nicht glaubst, Jonatan, ich stelle mir diese Frage auch und kann trotzdem nicht aufhören zu glauben.“

Er legte Jonatan die Hand auf die Schulter. Den Rest des Abends schwiegen sie.

Am nächsten Morgen machten sie sich auf mit der Herde gen Westen. Es war abgelegenes Land, sicherer für Jonatan. Als sie an diesem Abend den Feuerplatz einrichteten, sagte Jonatan: „Heute, Elia, erzähle ich dir meine Geschichte.“

Elia merkte, wie froh er über diesen Schritt Jonatans war, der ihm wie ein eigener Sohn ans Herz gewachsen war.

Nachdem die Tiere versorgt waren, begann Jonatan zu erzählen: Von seinem Zuhause in Jericho, von seinem Vater, dem guten Stoffhändler, von seinem reichen Leben ohne Not. Er erzählte von den Spielen mit seinen Geschwistern, von seiner Freude in der Synagoge die alten Schriften zu lesen und darüber zu diskutieren. Auch ließ er es nicht aus, Elia davon zu berichten, wie er kämpfen gelernt hatte. Der Umgang mit dem Schwert gab ihm ein Gefühl von Kraft und Macht. Doch seit immer mehr Menschen in Jericho mit den Römern zusammenarbeiteten, war das Leben schwerer geworden. Die Zölle stiegen ins Unermessliche. Sein Vater hatte viel Geld verloren und war darüber in Streit geraten mit seinem Nachbarn, der jetzt Oberzöllner war.  „Mein Vater kann Ungerechtigkeit nicht ertragen“, sagte Jonatan. „Er scheute sich nicht, unseren Nachbarn auch öffentlich anzugreifen. Das haben wir teuer bezahlt. Eines Tages kamen die Römer in unser Haus, plünderten, schlugen alles kurz und klein. Meinen Vater haben sie halb tot geschlagen und verschleppt. Meine Mutter brutal entwürdigt. Ich, der Älteste, was gerade nicht zu Hause, als es geschah, sonst hätte ich sie verteidigen können. Ich ging hinterher zu unserem Nachbarn, der uns angeschwärzt hatte, und habe Rache genommen.“

Jonatan stockte einen Moment. „Ich war starker als er und er erlag schon am Boden. Aber ich habe es nicht geschafft, ihn zu töten. Und dieser Schuft hat darüber gelacht – dieses Lachen werde ich nie vergessen, es trieb mich aus seinem Haus.“

Elia sah Jonatan durch die Augen ins Herz. Jonatan konnte nicht mehr weitersprechen. Elia tat es für ihn. „Deine Mutter meinte dann, es sei besser, wenn du dich in Sicherheit bringst?“ Jonatan nickt. „Und wir Hirten, verachtet am Rande der Gesellschaft, sind da ein guter Schutz“, sagte er und dachte: „Auch er wird dieses Unrecht nie ertragen können und zerbrechen, wenn er keine Hoffnung findet.“

Am nächsten Morgen schien Jonatan gelöster zu sein. „Ich bin froh, dass du es nun weißt“, sagte er zu Elia.

Es wurde danach eine stille Woche zwischen beiden, bis sie, als ihre Vorräte verbraucht waren, zurückkehrten nach Bethlehem.

Dort trafen sie gleich am ersten Abend mit anderen Hirten zusammen. Alle waren in Aufregung. Die Volkszählung war immer noch nicht abgeschlossen, eine ganzes Land war auf den Beinen, im Dorf selbst fand keiner mehr eine Unterkunft.“

„Gut, dass wir es gewohnt sind, draußen zu schlafen“, lästerte Amos, ein angereister Hirte aus Beer Schewa. „Aber was machen die, die alte und krank sind, was machen die müden Kinder. Ich habe ein Paar eine Herberge suchen sehen, wo die Frau hochschwanger ist, die wird ihr Kind noch auf der Straße zur Welt bringen müssen“, meinte er.

„Schlimme Zeiten sind das“, stöhnte Elia. Und Jonatan wunderte sich über die Hoffnungslosigkeit in seinen Worten.

In dieser Nacht blieben die Hirten nah beisammen aus den Feldern. Elia und Jonatan hatten die Wache für die Tiere der Hirten übernommen, die wegen der Zählung nach Bethlehem gekommen waren. So blieben sie wach, während die anderen zu schlafen versuchten.

„Du musst dich vielleicht doch besser in Sicherheit bringen“, meinte Elia zu Jonatan.

„Ich hatte gehofft, diese Zählerei hätte schon ein Ende“, erwiderte dieser. „Ich werde darüber nachdenken.“

Nach langer Stille sagt er dann: „Du hast lange keine Geschichte mehr erzählt, Elia.“ Doch dieser antwortete ihm nicht.

In der Mitte der Nacht stieß Jonatan Elia an. „Bin ich wieder eingeschlafen, ich alter Esel“, schimpfte dieser über sich selbst.

„Schau mal in den Himmel“, forderte ihn Jonatan auf.

Elia sah nach ober und konnte nichts entdecken.

„Es ist heller als sonst“, meinte Jonatan.

Elia strengte seine Augen an. „Meint du? Ich weiß nicht“, zweifelte er.

Da sahen beide aber auf einmal Licht vom Himmel herabkommen. Unwillkürlich fassten sie sich an. Die anderen Hirten erwachten, als das Licht näherkam. Sie rückten zusammen und starrten nach oben. Das Licht wandelte sich erkennbar in eine Gestalt, die ruhig und sanft zu ihnen sprach: „Fürchtet euch nicht! Ich verkündige euch eine große Freude! Der Messias ist heute geboren. Ihr werdet das Kind in einem Stall in Bethlehem finden. Es ist der Retter. Geht und seht, wie Gott euch liebt.“

Als diese Worte gesprochen waren, wurden mehr und mehr Lichtgestalten erkennbar. Einige am Himmel, andere aber hinter einem jeden Hirten. Gemeinsam sangen sie. Jonatan hörte nur ein Wort: Frieden. Dann war alles wieder dunkel.

Jonatan sah ein Leuchten in Elias Augen. Das war die Botschaft, auf die er so lange gewartet hatte.

Jonatan aber konnte es kaum glauben. „Lasst uns sehen, ob es wahr ist, was zu uns geredet wurde“, rief er.

Noch wie im Taumel schlossen sich ihm alle Hirten an, so zogen sie nach Bethlehem, fanden den Stall, Maria und Josef und das Kind.

„Das ist das Paar, von dem ich erzählt habe“, flüsterte Amos im Stall.

Elia trat hervor und ging auf Maria zu. Er erzählte ihr von den Worten der Himmelsboten. Und sie teilten mit den jungen Eltern von dem Proviant, den sie bei sich trugen, und sprachen Segengrüße aus für das Kind.

Jonatan blieb erst abseits. Seine Augen musterten den Stall, den müden Vater an der Krippe, das erschöpfte Lächeln der Mutter. So hatte er sich den Messias nicht vorgestellt. Doch dann spürte er in sich einen Drang, zur Krippe zu gehen. Es war wie ein Schubs. Er dachte an die Gestalt, die er vorhin auf dem Feld kurz hinter sich gefühlt hatte. Maria lud ihn ein, Jesus einmal in den Arm zu nehmen.

„Wie soll er der Messias sein?“, platzte es aus Jonatan heraus.

Maria lächelte ihn an und erzählte von ihren Engelsbegegnungen. Und so wie Maria die Worte der Hirten in ihrem Herzen bewegte, nahm Jonatan ihre Worte in sich auf: von Jesus, dem verheißenen Kind, in dem Gott die Niedrigen erhebt, die Hungrigen speist, Barmherzigkeit üben wird. Jonatan blickte wieder auf das Kind und dachte an das, was er auf dem Feld gehört hatte: Frieden.  „Friede sei mit dir“, sagt er zu dem Kind und legte es vorsichtig zurück in die Futterkrippe.

Die Hirten blieben nicht allzu lang. Sie wollten die kleine Familie nicht stören. Auch drängte es sie, weiter zu erzählen, was sie gehört und gesehen hatten. Nur Elia und Jonatan gingen zu den Herden zurück. Am Feuer brach Elia ihr Schweigen mit einer alten Weissagung, die Jonatan nur zu vertraut war: „Und ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende in seinem Königreich, dass er´s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“

„Es wird ein anderer Weg werden als gedacht“, sagte Jonatan. Elia nickte.

„Und doch fühle ich mich diesem Weg so nah, warum nur?“, fragte er Elia.

Dieser wusste die Antwort: „Weil du selbst im Moment des größten Hasses, den Zöllner nicht töten konntest. Dieses Kind wird dich brauchen, Jonatan, schließe dich ihm an, wenn es so weit ist.“

Es gingen noch Jahre ins Land, bis Jonatan Jesus als Erwachsenen wiedersah. Aber er hatte das Warten gestalten gelernt, denn die Hoffnung hatte ihn wieder lebendig gemacht. Sein Vertrauen auf Gerechtigkeit und möglichen Frieden war in ihn zurückgekehrt. Die Freude der Engelsbotschaft fühlte er um und in sich. Willig hörte und lernte er noch von Elia, solange er an seiner Seite lebte, lernte Sorge zu tragen für das Leben und erkannte die Wahrheit der alten Geschichten. Und, wie Elia, erzählte er überall davon und lebte die Friedensbotschaft, die den Hirten verheißen war.

Erst als Jünger Jesu aber traute er sich wieder nach Jericho. Den alten Nachbarn gab es nicht mehr, aber den neuen raffsüchtigen Zöllner Zachäus, der sich durch Jesus verwandeln und befreien ließ.

Seine Familie suchte Jonatan auch wieder auf. Sein Vater war krank durch eine lang erlebte Kerkerhaft, doch ungebrochen in seinem Glauben an Gerechtigkeit. Jonatan hatten ihnen viel zu erzählen, von Elia und unzähligen Gesprächen am Feuer, vom Hüten der Schafe, von dem Licht von Bethlehem und von den Engeln, denen im Himmel und denen auf Erden.

Dann zog er weiter an der Seite von Jesus mit nach Jerusalem und konnte leben, was er schon immer in sich als Lebensweg empfunden hatte.

Predigt zu meinem Abschied in den Ruhestand

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

 

Plötzlich und unerwartet – Wir freuen uns über das Kind, das uns anvertraut ist – vom schweren Leiden erlöst – Ich möcht´, dass einer mit mir geht – nach langem arbeitsreichen Leben – in guten wie in bösen Tagen – Was wird auf unser Kind zukommen? – – mitten aus dem Leben gewissen – aus Gottes Hand annehmen, lieben und ehren.

 

Liebe Gemeinde!

Das sind Stichworte, die zu den verschiedenen klassischen Amtshandlungen gehören, mit denen wir als Kirche Menschen über das ganze Leben begleiten. Taufe, Konfirmation, Trauung, Beerdigung. Neben den verschiedensten  Gottesdiensten, Besuchen, Gruppen oder Festen sind diese lebensbegleitenden Rituale die Anlässe, wo Menschen mit Kirche in Berührung kommen.

Hier in Ratekau sind diese Traditionen noch stark. In unserer schönen Feldsteinkirche, die viele wie eine Burg empfinden, die Geborgenheit schenkt, feiern wir oft Taufen und vor allem Trauungen. Wir haben in den letzten Jahren wieder eine steigende Anzahl von Konfirmand*innen und bei den Trauerfeiern haben wir im Schnitt mehr Besucher*innen, als in den normalen Sonntagsgottesdiensten.

Diese Berührungspunkte zeichnet etwas aus, was diejenigen erfahren, die sich offen und von Herzen darauf einlassen. Denn diese Berührungspunkte sind heilsam und ermöglichen Erfahrungen von Barmherzigkeit.

Wie schön ist es, bei der Taufe Dank zu sagen, das neue Leben als geschenktes Wunder zu begreifen und um Mithilfe in der Verantwortung für das Kind zu bitten, konkret mit Paten an der Seite.

Großartig ist es, wenn Jugendliche in diesen Jahren der explosionsartigen Entwicklung von 12-14-15 Jahren den Konfirmandenunterricht als einen Ort haben, wo sie so sein dürfen, wie sie sind, und gesegnet in ihre Zukunft gehen.

Und bei Trauungen ist es zwischen den Hochzeitsplanern und der „Locationsuche“ entlastend, wenn einmal davon gesprochen wird, dass wir unser Glück nicht allein schmieden müssen, und dass das Paar Gottes Segen zugesprochen bekommt, geschenkt. Aber auch, wenn jemand – etwa eine Pastorin – im Vorgespräch nachfragt: Was schätzt ihr aneinander?  Oder:  Wie habt ihr bisher Konflikte bewältigt? Oder: Wenn ihr goldene Hochzeit feiert, auf welche Erlebnisse würdet ihr da gern zurückblicken können? – eröffnet das Gespräche untereinander, die oftmals neu berühren.

Und bei Trauerfeiern legen wir ein Leben nicht in dunkle Erde, sondern in die Verheißung des Himmels, würdigen die einzigartige Lebensgeschichte, segnen, was war, finden Frieden mit allem, den guten und schweren Zeiten. Und in tragischen Fällen steht das Kreuz dort, das alle Wut und Enttäuschung aushält und tragen hilft.

Berührungen mit Kirche, dem Glauben, der Gemeinde, den christlichen Ritualen tun wohl. Und damit stehen sie in der guten Tradition mit der Art, wie Jesus Menschen berührt hat.

 

In der Evangeliumslesung haben wir es gehört: Jesus berührte die Zunge des Stummen und die Fessel der Zunge wurde gelöst und der Stumme redete richtig. Im Matthäusevangelium ist von einer Frau erzählt,  die jahrelang unter Blutfluss litt, und die den Saum vom Gewand Jesu berührte und zu derselben Stunde gesund wurde. In einer anderen Geschichte öffnete Jesus durch Berührung die Augen. Oder Jesus streckte seine Hand aus und rührte den Aussätzigen, den Unberührbaren, an und er wurde gesund. Und später heißt es sogar, alle, die ihn berührten, wurden gesund. Kinder wurden zu Jesus gebracht, damit er sie anrührte.  Berührung hilft auch auf. Als die Jünger bei Jesu Verklärung vor Schreck auf ihr Angesicht fielen, rührte Jesus sie an und sagte: Steht auf und fürchtet euch nicht!

Solche Art Berührung geschieht in der Begegnung mit Gottes Wort und Segen, und das besonders an den entscheidenden Meilensteinen oder Wendepunkten unseres Lebens.

 

Doch nicht jede Art Berührung tut gut. Im Hebräischen kann das Verb „berühren“ auch „schlagen“ bedeuten. Und das Hauptwort dazu bedeutet: „der Schlag“ oder auch „die Plage“ (die zehn Plagen von Ägypten sind so benannt). Deshalb ist die Art oder die innere Einstellung in der Berührung von Bedeutung.

Es geht also nicht um ein Schubsen, Anfahren oder Wehtun, auch nicht um den Befehl: Rührt euch!, und schon gar nicht um ein Glattrühren von Unebenheiten im Leben oder um ein Unterrühren von Konflikten. Sondern Jesus lehrt uns ein „Berührtsein“ und eine Berührung, die zu Herzen geht, die uns nicht gleichgültig lasst, sondern wo uns das Schicksal anderer nahe geht. Eine Berührung, die uns außerdem aufhilft und heilt. Eine Berührung, die uns mit anderen im guten Sinne in Verbindung bringt.

 

Wie schwer es is, auf Berührungen verzichten zu müssen, haben wir in den letzten Monaten in der Coronazeit erlebt. Viele Menschen sehnten und sehnen sich so nach Umarmung und nach fühlbarer Nähe.  

Es fällt mir nach wie vor schwer, Menschen nicht mit Handschlag zu begrüßen. Es ist fast unerträglich, beim Kondolieren am Grab auf Berührung verzichten zu müssen. Gern habe ich meine Konfirmand*innen am Ende des Unterrichts per Handschlag verabschiedet, da ist auch noch das eine oder andere persönliche Wort gefallen oder man hat es leichter gemerkt, wo jemand bedrückt war. Und wie schön war es, Menschen, die mir lieb sind, endlich wieder nach dem Impfschutz in den Arm nehmen zu können. Eine Berührung kann oftmals mehr sagen als Worte, beim Gratulieren wie beim Trösten.

 

27 Jahre lang habe ich hier meinen Dienst in Ratekau getan als Ihre und eure Pastorin, davor war ich fünf Jahre in Norderstedt und zwei Jahre im Vikariat in Hamburg. Ich glaube, dass „berühren“ und „anrühren“ ganz wichtige Worte für diesen Dienst sind.

Viele Schicksale hier aus den Lebensgeschichten haben mich berührt nicht nur bei Beerdigungen, sondern auch bei dem, was junge Paare und Familien, Jugendliche, Kinder oftmals schon durchgemacht haben. Da erfuhr ich von manchen Erlebnisse mit Berührungen, die eher wie ein Schlag ins Gesicht oder eine Plage waren. Da führten leidvolle Berührungen eher dazu, dass das Leben wie gelähmt verlief, ein Mensch sich nicht rühren konnte. Eine ganz starke Sehnsucht nach einer liebevollen Berührung war dann spürbar, eine Berührung, die aufrichtet.

Zu helfen, einen Wunsch auszusprechen, oder ein Tabuthema in einer Familie auf den Tisch zu legen, Zeit, ein Kompliment, Geduld oder eine richtige Frage und dann zusammen aushalten, was kommt,

das eröffnet gute Berührungserfahrungen.

Das habe ich versucht.

Ich denke da als ein Beispiel in Rahmen einer Beerdigung an eine Begegnung zwischen einer alten Mutter und ihren Kindern, wo ich einen langen Wunsch der Frau gegenüber ihren Söhnen aussprechen konnte. Die wussten nichts von diesem Wunsch, aber wollen ihn gern erfüllen. Diese Frau hatte nie gelernt, sich etwas  wünschen zu dürfen.

Es war aber auch berührend, wenn über die gemeinsame Zeit im Konfirmandenunterricht Vertrauen gewachsen ist, dass Jugendliche ganz persönliche Erlebnisse erzählen konnten, ohne dass jemand dazwischenredete oder einer darüber lacht. Einen Raum zu schaffen, der Mut macht, Berührendes auszusprechen, kann helfen, statt immer cool und stark und „in“ sein zu müssen, ein Gespür für barmherzige Berührung zu entwickeln. Ich danke da insbesondere den Jugendlichen, die auch Trauersituationen im Unterricht erzählt haben.

Anrührend war es auch, wenn ich bei Taufgesprächen erfuhr, dass manche so gar keine liebevolle Kindheit hatten und trotzdem gern Eltern wurden und es jetzt für ihr Kind bewusst anders versuchen wollten und gut im Austausch darüber waren. Die Taufe war da auch ein stärkendes Ritual für die Eltern.

Berührt hat mich auch, wenn jemand auf mich Acht gab. Am Ende einer Konfirmandenfreizeit saß ich einmal völlig erschossen im Bus auf der Rückfahrt und ein Konfirmand drehte sich besorgt zu mir um und fragte: Geht es Ihnen gut, Frau Dittmann? Konfirmanden sind einfach klasse!

Kinder sprachfähig zu machen für Freud und Leid ist auch ein Teil im Kindergottesdienst, für den mein Herz ja besonders schlägt. Bei der Runde mit den Steinen für Belastendes aus der Woche haben die Kinder viele schwere Lasten ein Stück mit ablegen können. Und das zu fördern und Belastendes mit anderen zu teilen, bestärkt es, dass wir Menschen werden, die Berührung in der Begegnung mit anderen zulassen.

Zu Herzen gegangen ist es mir außerdem, wenn wir einen Ausflug gemacht haben und am Ende des schönen Tages im Bus: „Guten Abend, gute Nacht“ gesungen haben.

Sie haben gemerkt, ich habe den Bogen der Berührungen vom Anfang mit den Amtshandlungen noch viel weiter gefasst.

Es ist gut, an den Schaltstellen und Brennpunkten des Lebens vor Gott zu treten und ihn an unserer Seite zu wissen. Ein ganz entscheidendes Angebot unserer Kirche. Mit Gott zu leben und die Geborgenheit auch zu genießen und sich gehalten zu wissen, ist aber weit darüber hinaus ein Angebot für alle Tage.

Ich bin fest davon überzeugt, dass kirchliche Gemeinschaft und gefeierter Glaube uns so anrühren und berühren, dass es uns aufrichtet und ermutigt. Wenn wir unser Miteinander liebevoller und solidarischer gestalten wollen, dann brauchen wir genau das. Und dann wächst unter uns eine liebevolle Verbundenheit, die Gott sich für uns Menschen wünscht und die Jesus vorgelebt hat.

Dafür ist die Kirche eine ganz entscheidende Größe unserer Gesellschaft, notwendig und Not wendend  und das nicht nur für alle Lebensphasen und nicht nur vor Ort, sondern auch als Stimme für mehr Barmherzigkeit auf allen Ebenen. Das gilt genauso weltweit, in diesen Tagen wieder besonders in Flüchtlings- und Menschenrechtsfragen und im Eintreten gegen den Klimawandel mit seinen katastrophalen Auswirkungen.

In diese Richtung habe ich hier 27 Jahre gearbeitet mit so vielen von Ihnen und euch zusammen, denn das macht Kirche aus. Viele — aus allen Generationen — engagieren sich in unserer Gemeinde für andere, und gewinnen dabei auch selbst etwas für ihr Leben. Vielen Dank für die Jahre zusammen, für so viel Berührendes, für so viel Nähe und Vertrauen, für Rat und für Rückhalt.

Das, was zu Herzen gegangen ist dabei, wird bleiben und viele Erinnerungen an schöne Erlebnisse. Und nun kommt neuer, frischer Wind, doch auf dem gleichen Fundament, das Christen seit 2000 Jahren verbindet. Es geht weiter, aber anders. Mit dem Segen Gottes darf ich heute in den Ruhestand gehen und mit dem Segen Gottes geht es für Sie und euch gemeinsam mit Pastorin XXX weiter in die Zukunft unserer Kirchengemeinde Ratekau. Und dass das Spaß machen kann, zusammenführt und verbindet, habe ich versucht in dem Bild darzustellen, was ich für euch gemalt habe und mit dem ich mich aus der Gemeinde verabschiede. Sie haben es als Postkarte erhalten und sehen es hier vorn. Ein fröhliches, buntes Miteinander rund um unsere schöne Feldsteinkirche, die kein Museumsgebäude ist, sondern lebendige Kirche.

Und auch, wenn Sie und ich bald an verschiedenen Orten sind, werden wir weiter aus der Berührung mit Gottes Liebe Kraft schöpfen können und Menschen weiterhin im Sinne Jesu berühren. Und das wird heilsam, barmherzig und wohltuend sein und bleiben für die, denen wir uns zuwenden, aber auch für uns. Und von diesen wunderbaren Erfahrungen wünsche ich Euch ganz, ganz, ganz viele.  Amen.

 

Konfirmationspredigt zum Symbol „Siegel“

Die Liebe Gottes und sein Friede sei mit uns allen. Amen.

Liebe Konfirmand*innen! Liebe Festgemeinde!

Heute ist es nun endlich so weit, wir feiern eure Konfirmation. Ein Jahr haben wir darauf gewartet und die Pandemie hat uns alle böse überrascht. Doch freuen wir uns heute trotzdem für Euch, feiern gern Eure Konfirmation und bringen eine gute Zeit, die wir miteinander hatten, zum Abschluss.

Ich habe mich auch gefreut, dass wir vorher noch einmal für uns zusammen waren, nicht nur per Zoom, sondern in der Kirche zu einer kleinen Abendmahlsfeier, die ja heute hier noch nicht möglich ist. Und auch der Aufbau der Zelte am Donnerstag war noch einmal ein spezielles gemeinsames Erlebnis. Es wusste nämlich keiner von uns so richtig, wie das geht. Aber auch das haben wir hinbekommen, mit Hilfe auch von Eltern, Geschwistern und Großeltern.

Ihr seid groß geworden im vergangenen Jahr, noch mehr eigenständige Persönlichkeiten geworden. Ihr musstet auch lernen, mit dieser neuen weltweiten Krankheit zu leben. Wir haben alle erfahren, wie brüchig unsere Sicherheit sein kann.  Und Ihr seid auf der Suche nach Euch selbst, schreibt Kapitel Eures Lebens, mehr und mehr allein oder mit guten Freunden und Freundinnen –  und seid dabei vielleicht manchmal für Eure Eltern ein Buch mit sieben Siegeln. Ich habe diese Zeit als sehr prägend für mein Leben in Erinnerung, entsinne mich auch, wie viel Energie ich damals in Eurem Alter hatte, was es alles auszuprobieren galt, manchmal auch durchzustehen. Aber es sind ganz tolle Jahre und das wünsche ich Euch auch.

Einen Teil durften wir Euch begleiten als Gemeinde, ich auch noch im Konfer. Ich weiß, dass viele von Euch die Wochenendfreizeit in M. besonders in Erinnerung haben und es ist schade, dass Corona die zweite Fahrt verhindert hat. Ihr ward immer engagiert dabei und interessiert und manche hätten auch gern noch mehr zusammen unternommen, z.B. eine geplante Kinonacht im Jugenddach hier mit einem Dreiteiler konnten wir nicht mehr durchführen. Mir hat die Zeit mit Euch viel Spaß gemacht.

Ein Lied, das wir oft gesungen haben, ist das Lied: Take, oh take me as i am. Wir singen es nachher noch. Darin liegt die Bitte, dass Gott sein Siegel auf unser Herz legt und in uns lebt.

Heute werden Siegel nur noch selten verwendet. Früher hatten sie die Bedeutung von Unterschriften. Wenn zum Beispiel ein Vertrag gesiegelt war, war er gültig. Gesiegelt wurden auch Briefe, Kaufverträge oder Bücher. Siegel wurde oft als Siegelring getragen. Wenn wir sagen: Darauf gebe ich Dir Brief und Siegel, dann heißt das, darauf kannst Du Dich verlassen.

Darum habe ich Euch im Vorfeld gefragt, worauf ihr Euch in Eurem Leben verlassen könnt. Wie an vielen anderen Stellen im Konfirmandenunterricht wurde deutlich, welchen hohen Stellenwert die Familie für Euch hat. Auf sie könnt Ihr Euch verlassen, auf die Eltern, auf ganz konkrete Menschen, die Ihr namentlich genannt habt und natürlich Eure Freunde.  Einige haben auch gesagt, dass sie sich auf ihre Tiere verlassen können oder auf ihr schönes Zuhause. Da klingt ganz viel Geborgenheit mit durch. Schön, dass Ihr sie erfahren habt.

Wenn die Bibel vom Siegel spricht, kommt noch eine weitere Bedeutung hinzu. Das Siegel bezeichnet das, was uns lieb und wertvoll ist, etwas, was wir nicht loslassen wollen. Und weil wir Gott wichtig sind, hat er uns im Glauben an Christus gefestigt, hat uns gesalbt und sein Siegel aufgedrückt, schreibt Paulus. Den Heiligen Geist gab es als Vorschuss ins Herz dazu. Mit dem Siegel Gottes sind wir geschützt – so sagt es die Offenbarung des Johannes.

Wer weiß, dass er geliebt ist und wertvoll und für andere, auch für Gott, wichtig ist, hat es leichter, auch andere lieb zu haben, wertzuschätzen oder zu achten.

Ihr wisst auch, was Euch lieb und teuer ist: (Aussagen der Jugendlichen dazu vorher sammeln) Freunde und Freundschaft, Liebe, Dinge mit Bedeutung, Eure Familie, die Eltern und Großeltern, aber auch Gesundheit, Sport oder eine Erinnerung an Verstorbene sowie Spaß am Leben und Glück. Auf Zeit mit der Familie oder den Freunden oder rauszugehen und unterwegs zu sein, könnt Ihr nicht verzichten. Wohl aber verzichten könnt Ihr – wie jemand von euch schrieb – auf Menschen, die Euch nicht guttun oder fake friends.

Auf dem Deckblatt des Gottesdienstzettels steht nun sogar: Das Siegel seid Ihr! Paulus hat dies so an die Gemeinde in Korinth geschrieben. Sie ist das Siegel seines Apostelamtes. Tragen wir etwas weiter von der Liebe Gottes in die Welt hinein, dann ist das wie eine Unterschrift oder ein Stempel des Glaubens, den wir dieser Welt aufprägen.

Wie großartig ist es, wenn die Art und Weise, wie Jesus Menschen begegnet ist, auch durch uns seine charakteristischen Spuren hinterlässt oder das Miteinander maßgeblich beeinflusst. Dann vermindern sich die Sorgen vom Mobbing in der Schule oder Hetze im Netz. Dann gäbe es keine Neiddebatten, etwa was vollständig Geimpfte schon vorher dürfen und andere erst etwas später. Wir könnten sogar den Menschen vergeben, die etwas getan haben, was uns ganz doll ärgert und sogar das, was uns verletzt hat. Neuanfänge werden möglich.

Ihr, liebe Konfirmanden, habt im Unterricht manche solcher Beispiele kennengelernt, über die biblischen Geschichten oder die 10 Gebote oder die Fragen zur Verantwortung für die Schöpfung und unser Miteinander. Kann ich einem Freund vergeben, der mich zu Unrecht in Schwierigkeiten bringt? Wie ist es mit der Ehrlichkeit in Beziehungen? Wage ich eine Hoffnung über mein Lebensende hinaus? Traue ich mir zu, die Welt ein Stück mit zu verändern?

Gott traut es uns auf jeden Fall zu, das Leben miteinander maßgeblich mitzugestalten und zu prägen mit den wertschätzenden Augen, mit denen er auch uns begegnet. Wir können die Welt zu einem besseren Platz machen, heilen.

Mit der Konfirmation bekräftigt Ihr Euer „JA“ zum Glauben, dass Ihr versuchen wollt, auf diesem Weg weiterzugehen. Auch diese Bedeutung steckt im Siegel, etwas festmachen oder bekräftigen.

Im Gegenzug bekommt Ihr Kraft, Euer Leben sinnvoll zu gestalten, Mut für den eigenen Weg, der um die Verantwortung für andere weiß, und die Fähigkeit, mit anderen mitfühlen zu können, was uns dann eine tiefe Verbundenheit und auch Vertrauen zu anderen schenken kann. Und Ihr könnt Euch sicher sein, dass Ihr liebenswert seid und geliebt werdet.

Darauf habe ich Euch heute Brief und Siegel gegeben und dazu bekommt Ihr ein Siegel mit dem Anfangsbuchstaben Eures Namens und Siegelwachs. Findet heraus, was für Euch Wert hat und steht dann auch dafür ein wie für eine besiegelte Sache.

Im Brief habe ich wichtige Liedaussagen für Euch zusammengefasst. Dort heißt es:

 Vergiss es nie:

Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls,

keine Laune der Natur. Du bist du.

Gott nimmt dich so an, wie du bist;

er legt sein Siegel auf dein Herz und lebt in dir.

Gottes Liebe ist wie ein Zuhause.

Du bist frei, ja zu sagen oder nein.

Wo Menschen sich verbünden,

den Hass überwinden und neu beginnen,

da berühren sich Himmel und Erde,

dass Frieden werde unter uns.

Wir sind Teil dieser Welt. Wir haben die Wahl. Wir können unser eigenes Leben retten

und jeden Tag besser machen für alle. Gott hat uns gezeigt wie.

 

So nehmt in diesem Sinne heute den Segen Gottes mit Euch in eine wunderbare Zukunft, die wir Euch allen wünschen. Amen.

 

 

 

 

 

Predigt zum 1.Advent 2018

©Anke Dittmann

Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen.

Vorgeschlagener Predigttext heute ist der klassische Text zum 1. Advent. Jesu Einzug in Jerusalem. Die Geschichte steht bei Matthäus im 21.Kapitel und gehört auch zum Palmsonntag, also zum Beginn der Karwoche.

Jesu Einzug in Jerusalem

1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus

2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!

3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.

4 Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9):

5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«

6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,

7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.

8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.

9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

10 Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der?

11 Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.

Liebe Gemeinde!

Eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. – Ein König wurde erwartet.

Ich habe mir überlegt, wer da so alles am Wegesrand gestanden haben mag. Die Menge besteht ja aus vielen Einzelpersonen mit ihren Lebensgeschichten und Schicksalen.

Vielleicht war ein alter Mann dabei, der fühlte, dass er nicht mehr lange leben würde und er hoffte, dass nun der Retter käme, der sie endlich von den Römern befreien würde.

Vielleicht war eine junge Frau dabei, die zwangsverheiratet worden war und nun unglücklich, etwa durch Gewalt Zuhause.

Vielleicht war ein Mädchen dabei, die immer hinter ihren Brüdern zurückstehen musste,

oder ein junger Mann, der sich nur verzweifelt als Tagelöhner über Wasser halten konnte.

Vielleicht war ein Vater dabei, der sich um seinen behinderten Sohn sorgte, weil überall gesagt wurde, in ihm herrschten böse Geister.

Vielleicht war eine ältere Frau dabei, die gerade ihren Mann verloren hatte und nun nicht wusste, wie sie als Witwe überleben sollte.

Und etwas im Hintergrund stand vielleicht ein Kranker, der wusste, dass auch er bald zu den Aussätzigen gesteckt werden würde, draußen in die Grube vor der Stadt.

Und eine junge Familie stand sicher auch am Weg und legte Palmzweige in den Staub, weil sie sich um die Zukunft sorgten, um Gewalt, Willkür und Armut. Und der ein oder andere Widerstandskämpfer mag sich in der Menge versteckt haben und hoffen, dass Jesus zur Machtergreifung nach Jerusalem gekommen sei.

Und sie alle riefen: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

Hosianna, das bedeutet: Rette doch! Hilf doch! Oder: Gib Segen!

Sie alle rufen um Hilfe und nach Rettung und Segen. Menschen in so unterschiedlichen Situationen, mit verschiedensten Problemen und Ängsten und Hoffnungen. Und sie alle hoffen auf den Mann, der nicht mit einem Schlachtross in die Stadt kommt, sondern auf einem Esel, wie es Sacharja verheißen hat. Sanftmütig.

Sie alle hatten sicher schon von Jesus gehört, wie er Kranke geheilt hat, dass er einzelne nicht übersieht. Sie hatten die Geschichten gehört, die von Gottes Himmel erzählten, der schon unter uns spürbar werden kann und kannten seine klugen Antworten, wenn er etwa von Schriftgelehrten provoziert wurde. Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Sie wussten, dieser Jesus ist anders als all die anderen Gottesmänner, die früher durchs Land gezogen waren. Jesus veränderte Menschen, er hinterfragte diejenigen, die Menschen nach Buchstaben aburteilten ohne auf den einzelnen zu sehen. Und Jesus versprach, dass das Reich Gottes nahe sei.

Andere in der Stadt scheinen ihn kaum zu kennen und fragen: Wer ist das? Und die Antwort kommt aus aller Munde: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa. Und im Stillen dachten sie: Er soll unser neuer König werden. Aber noch war es nicht so weit.

Das neue Kirchenjahr beginnt mit dieser Geschichte aus den letzten Lebenstagen Jesu. Das ist aus dem neu geborenen König aus dem Stall von Bethlehem geworden. Ein König ganz anderer Art, der Messias, auf den so lange schon gewartet wurde.

Aber wie es mit der Geburt im Stall ungewöhnlich war für einen König, so war es auch hier beim Einzug mit dem Esel. Und so manche Hoffnung der Menge am Wegesrand zerschlug sich schnell, als Jesus kein Interesse zeigte, die Herrschaft an sich zu reißen, einen Aufstand gegen die Römer anzuzetteln oder die himmlischen Heerscharen nun auf der Erde kämpfen zu lassen. Er ließ sich gefangen nehmen, verteidigte sich nicht einmal und wurde schließlich hingerichtet, verurteilt von denen, die sich durch ihre Gesetzestreue fesseln ließen, und von denen, die das Land besetzt hielten und keine Unruhe wollten.

Was für eine Enttäuschung für die, die ihm zugejubelt hatten. Hilf doch, rette doch! Das verhallte im Dunkel von Karfreitag. Und die anderen Parolen wurden stärker: Kreuziget ihn!

Doch dann kam das, was alle gewesenen Könige und Propheten überstrahlte: Jesu Auferstehung! Gegen seine Botschaft konnte und kann keine weltliche Macht gewinnen und am Ende steht immer das Leben.

Noch erleben wir den Himmel auf Erden nur Stück für Stück, etwa dort, wo wir erfahren dürfen, dass jemand uns liebevoll, sanftmütig und barmherzig begegnet. Mit den Herrschern, die mit Paraden mit Kriegsgerät ihre Macht demonstrieren, hat die Welt keine guten Erfahrungen gemacht. Und wir wissen längst, dass die, die zornig und laut oder fies und mit Ellbogen ihre Macht verteidigen, die schwächeren sind. Das gilt in der Politik, in der Clique, am Arbeitsplatz oder in der Familie, weil sie sich nicht beherrschen können und dann kaum klare Gedanken fassen. Wir brauchen dagegen den König, der sich bis zuletzt den Gesetzen der Macht und Willkür widersetzt und dann gewinnt. Denn Gott ist in den Schwachen mächtig.

Wenn wir jedes Jahr im Advent auf Weihnachten warten, warten wir auch darauf, dass dieser König wiederkommt. Und wir erinnern uns, was wir erreichen können, wenn wir ihm entgegengehen. Und auf dem Weg ist schon viel geschehen: Demokratie, Menschenrechte, Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt gehören für mich genauso dazu, wie Kranken- und Sozialhilfe oder vor Ort unser einladender Seniorenkreis, unser Besuchsdienst oder unsere lebensbegleitenden Angebote von klein auf an. Jesus hat uns gelehrt, Menschen zu begleiten und ihnen besonders an Übergängen zu helfen durch Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung, durch Notfallseelsorge und Hausbesuche, durch Fürbitte und den Blick auf Einzelschicksale, durch Unterricht und Verkündigung seiner Geschichten. Und wer da mit dabei ist, weiß wie sehr das liebevolle Miteinander auch die beschenkt und erfüllt, die es versuchen und tun.

Noch sind wir damit lange nicht am Ende, noch stehen viele, zu viele am Wegesrand und rufen: Hilf doch, rette doch, gib Segen. Noch gibt es zu viele Mächtige, die alle Sanftmut im Keim ersticken wollen, und viel Leid, das oft unerklärlich ist. Wir warten noch auf das Christuskind und den Himmel auf Erden. Und Warten fällt oft schwer. Doch so vieles, was den Himmel ausmacht, ist mit Jesus schon gekommen. Deshalb können wir das Warten gestalten. Wir müssen diesem König des Lebens nur vertrauen und entgegengehen. Dann erleben und schenken wir Hilfe, Rettendes und Segen. Macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre bei und in uns einziehe! Amen.

Die Hochzeit zu Kana

Eine Erzählpredigt für einen Familiengottesdienst   

Simon war acht Jahre alt, als er das erste Mal mit seinen Eltern zu einer Hochzeitsfeier mitkommen durfte. Er war stolz darauf und fühlte sich groß. Außerdem nahm er sich vor, dass er alles genau beobachten wollte, denn er war neugierig darauf, wie so eine Hochzeitsfeier wohl ablief.

So ging er nach der Mittagshitze mit seinen Eltern zu Fuß in das kleine Nachbardorf Kana. Etwa zwei Stunden gingen sie. Aber Simon wurde nicht müde, er war zu aufgeregt.

Als sie ankamen, waren schon viele andere Gäste im Haus des Brautpaares. Es war voll an den Tischen. Und die Tische waren reich gedeckt. Es gab Brot und Trauben, Fisch und Fleisch. Die Gäste tranken Wein und die Bediensteten des Hauses liefen hin und her, um die Gäste zu versorgen.

Kaum hatte Simon am Tisch Platz gekommen, er saß etwa dem Brautpaar gegenüber, da begann auch Musik zu spielen und sie sangen viele fröhliche Lieder. Simon beobachtete das Brautpaar, das etwas schüchtern am Tisch saß. Er sah sich genau die fröhlichen Gesichter der Gäste an und er versuchte, die Lieder mitzusingen und die Texte zu verstehen. Ihm gefiel dies Fest. Und er spürte, wie wichtig dieser Tag für die Brautleute war.

Auf einmal unterbrach die Musik für einen Moment. Simon drehte seinen Kopf in die Richtung, in die nun alle sahen. Ein Mann hatte den Raum betreten, gefolgt von einer älteren Frau und anderen jungen Männern.

„Das ist Jesus“, flüsterte einer. „Jesus aus Nazareth, der Sohn der Maria.“ Und die Art, wie dies gesagt wurde, machte Simon neugierig auf diesen Mann. Jesus hob die Hand zum Gruß und wurde freudig aufgenommen wie alle anderen Gäste auch. Er nahm am Tisch Platz, aß und trank und redete freundlich mit den Menschen. Nichts Aufregendes geschah.

Gerade als Simon das Interesse an ihm verloren hatte, bemerkte er, dass Maria, Jesu Mutter, zu ihrem Sohn kam und ihm aufgeregt etwas ins Ohr flüsterte. Jesus winkte ab, als er wollte er ihr sagen: „Mach dir keine Sorgen.“ Doch bemerkte Simon kurz danach auch Unruhe unter den Gästen. Und die Bediensteten kamen nicht mehr unablässig gelaufen, um nachzuschenken.

Simon stand leise vom Tisch auf. Er wollte dieser Sache auf den Grund gehen. So verließ er den Hochzeitsraum und ging in die Kammer, wo alle Speisen bereitgehalten wurden. Dort hörte er zu, was die Diener aufgeregt besprachen.

„Was sollen wir tun?“, fragte einer der Diener. „Aller Wein ist ausgeschenkt. Kein einziger Tropfen ist mehr in den Krügen. Was sollen wir nun den Gästen anbieten?“

Die Diener waren ratlos. „Draußen werden es bald alle wissen“, meinte ein anderer. „Und dann ist es mit der Hochzeitsfreude vorbei.“

Doch kaum hatte er das gesagt, da kam auch schon Jesus zu den Dienern heraus. In seinem Gesicht lag keine Aufregung. Er sah ganz ruhig aus, als wüsste er genau, was er tun wollte. Simon war gespannt, was jetzt passieren würde.

Jesus zeigte auf sechs große Steinkrüge, die an der Tür standen. Es waren keine Weinkrüge, nur leere Wasserkrüge.

„Füllt die Krüge mit Wasser!“, sagte Jesus zu den Dienern. Sie schauten ihn verwundert an, taten aber, was er gesagt hatte. Bis zum Rand füllten sie die Krüge mit Wasser.

Simon überlegte, was Jesus wohl vorhatte? Wozu brauchte er so viel Wasser?

„Nun schöpft daraus!“, sagte Jesus. „Und bringt es dem Speisemeister, damit er davon kostet.“

Wieder gehorchten die Diener. Sie füllten einen Becher ab und brachten ihn dem Speisemeister. Der nahm den Becher und trank.

„Oh!“, rief er dann erstaunt. „Was für ein köstlicher Wein! Wo habt ihr ihn her?“ Und er holte schnell den Bräutigam und sagte ihm: „Sieh, dieser Wein ist ja viel besser als der vorige Wein! Warum hast du diesen Wein bis jetzt aufgespart?“

Doch der Bräutigam wusste nicht, woher der gute Wein kam. Nur die Diener und Simon wussten es. Wasser hatten die Diener in die Krüge geschüttet und Wein hatten sie herausgeschöpft. Dieser Jesus hatte ein Wunder getan.

Simon stand immer noch in der Speisekammer. Er war ein wenig durcheinander, denn er konnte sich nicht erklären, wie Jesus dieses Wunder getan hatte. Staunend blickte er den Mann Jesus an, als er an ihm vorbeiging, um den Raum zu verlassen. Jesus blieb dieser Blick von Simon nicht verborgen. Kurz blieb er bei ihm stehen, lege ihm die Hand auf den Kopf und lächelte ihm freundlich ins Gesicht. Simon überkam dabei das Gefühl, dass dieser Mann noch viel mehr tun konnte, als das, was er hier beobachtet hatte.

Ohne großes Aufsehen ging Jesus wieder in den Hochzeitsraum. Und in den kommenden Stunden wurde das Fest noch viel fröhlicher als zuvor. Alle tranken von dem köstlichen Wein und wunderten sich, woher er wohl kam. Jesus saß mitten unter den Leuten und freute sich an deren Freude. Und sie feierten bis weit in die Morgenstunden hinein.

Als Simon mit seinen Eltern nach Hause ging, fragte ihn sein Vater: „Simon, bist du gar nicht müde?“ Simon schüttelte den Kopf. Aber er sagte nichts. Mit seinen Gedanken war er noch ganz bei diesem Mann aus Nazareth. Er spürte, dass er mehr erlebt hatte als eine Hochzeitsfeier. Und ihm gefiel dieser ruhige, freundliche Wundertäter, den sie Jesus nannten.

Anke Dittmann ©️

Predigt Osternacht

Gnade sei mit uns und Friede von Gott. Er segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Gemeinde!

Der Sabbat nach der Kreuzigung Jesu ist vorbei, mit dieser Nacht bricht der dritte Tag an. Wo mögen die Freunde Jesu, die verbliebenen 11 Jünger und auch seine Jüngerinnen zu dieser Zeit gewesen sein? Es ist noch dunkel in Jerusalem, wie bei uns jetzt. Konnten sie schlafen? Waren die Frauen gedanklich schon bei ihrem Gang zum Grab am Sonnenaufgang? Hatte Jesu Tod Jesu Anhängern die Sprache verschlagen oder mussten sie immer wieder miteinander im Verborgenen darüber reden, weil es so unglaublich war, dass er, Jesus, ihr Retter und Meister, der Messias, gestorben war, und weil es so unglaublich schwer auszuhalten war? Weinte Petrus noch oder Maria Magdalena? Wir wissen es nicht.

Aber wir wissen, dass die Jüngerinnen und Jünger damals noch vor dem Ostergeschehen standen. Sie erlebten diese Nacht noch ohne Hoffnung. Oder erinnerte sich doch der ein oder andere, dass Jesus von seiner Auferstehung gesprochen hatte? Wie sollte das nach der grausamen Hinrichtung möglich sein?

Ich glaube, sie waren im Ungewissen und traurig wie die, die keine Hoffnung haben, wenn jemand gestorben ist. Sie taumelten in eine ungewisse Zukunft, wie wir es in Trauerzeiten selbst spüren, wenn ein Abschied uns die Kraft nimmt, mit den Gedanken in der Realität zu bleiben und der Blick in die Zukunft leer ist. Heute würde man sagen, sie sind traumatisiert. Sie tun mir Leid in diesen Tagen und ich freue mich für sie, dass sie bald Ostern erleben werden.

 

Unsere Situation in dieser Nacht ist anders. Wir blicken nicht in eine leere Zukunft, sondern wir warten auf den Ostermorgen. Wir erwarten etwas. Wir wissen, was kommt. Jesus wird auferstehen. Der Karfreitag, der nicht enden wollte für die Freunde Jesu, hat ein Ende und es wird hell, hoffnungsvoll, das, woran wir glauben und worauf wir hoffen, lebt weiter, breitet sich aus, lässt Menschen aus Notlagen auferstehen.

Und wir warten doppelt, warten auf die Feier des Ostermorgens mit der Auferstehung und warten wie jeden Tag unseres Lebens darauf, dass der neue Himmel und die neue Erde kommen, in denen Gerechtigkeit wohnt.

Bei uns, wo es uns gut geht, ist diese Naherwartung nicht sehr ausgeprägt, bei anderen Menschen, die im Leid leben, im Unrecht, im Krieg kann das ganz anders sein. Zur damaligen Zeit war diese Hoffnung sehr ausgeprägt und die Menschen sorgten sich, als Gemeindemitglieder starben vor Jesu Wiederkehr.

Trotzdem, also auch, wenn es bei uns nicht obenauf liegen mag, ist diese doppelte Erwartung wichtig. Der Ostermorgen, auf den wir uns freuen dürfen, erinnert uns an die Auferstehung, die uns zeigt, selbst nach dem Tod geht es weiter. Das ist unsere Hoffnung bei Abschieden, wenn wir am Grab stehen und die Trennung aushalten müssen. Es ist auch eine Hoffnung für Situationen, die etwas in uns getötet haben. Auch eine Trennung in einer Beziehung kann ein Karfreitagserlebnis sein, eine schwere Enttäuschung, wenn ein Freund mich an andere verraten hat, etwas Persönliches preisgab, was sonst eigentlich keiner wissen sollte, tötet Vertrauen. Eine Entlassung nach vielen langen treuen Jahren in einer Firma ist wie ein Karfreitag, etwa beim reinen Blick auf Gewinnmaximierung. Oder die Nacht vor einer schweren Operation.

Wer dann wieder erwacht und lebt, wer dann wieder auch ohne die Arbeit in etwas Neuem Sinn findet, wer wieder Vertrauen wagt und es als gerechtfertigt erlebt oder den Mut zu einer neuen Beziehung findet, erfährt Ostern. Und wer in solch schweren Tagen bis dahin um Hoffnung weiß, – wer glaubt, dass das nicht alles war, weil da jemand ist, der uns zur Seite steht, der oder die zündet im Dunkel der Nacht solch ein Licht an, wie wir mit der Kerze am Osterfeuer. Und dann warten wir nicht nur auf den Morgen, sondern erwarten auch noch etwas.

Wie gut, dass es diese Auferstehung im Leben auch gibt.

Und die andere Erwartung ist die, dass Jesus, wie wir es im Glaubensbekenntnis sagen werden, wiederkommen wird in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten, und seiner Herrschaft wird kein Ende sein. Die uns geschenkte Welt, in der wir uns bewähren können, wird einmal vergehen und dann umgibt uns ganz und gar das, was Jesus schon mit seiner Liebe vorgelebt hat.

Ich bin dankbar, dass ich die hoffnungslosen Tage der Jünger nicht durchmachen musste, und dass die ersten Christen uns so eindrücklich auf vielfältige Weise die Auferstehung Jesu erzählt haben. Ein überwältigendes Erlebnis, das wir jedes Jahr feiern wie eine Neugeburt.

Der Auftrag des Auferstandenen ist dann klar: Erzählt allen Menschen davon, tauft sie, lehrt sie, breitet die Liebe Gottes aus. Wir sollen also nicht tatenlos warten, sondern haben Anteil daran, Gottes Himmel auf der Erde auszubreiten.

Das ist eine wunderbare Sache und voller Wunder. Thomas Edison hat einmal gesagt: „Wer beim Warten nicht die Hände in den Schoß legt, dem fällt alles zu.“ Solch ein Warten ist kein Stillsitzen, es ist ein dynamisches Warten, ein Erwarten. Und wie schön sind da viele Erlebnisse, wo wir helfen, wo wir vermitteln, wo wir trösten, wo wir den Mund aufmachen für die Stummen, wo wir zusammen feiern.

Für den Weg in den Ostermorgen und auf dem gemeinsamen Weg dem Himmel Gottes entgegen, stärken wir uns heute mit Brot und Kelch. In Erinnerung an den, der zum Sonnenaufgang wieder gelebt hat und zur Stärkung für unser Mittun der Liebe Gottes unter uns. Wir warten hier zusammen in dieser Nacht, die ganz anders als all die anderen Nächte ist, weil sie uns an Befreiung erinnert, an Neuanfänge aus tiefstem Dunkel, an Hoffnung, wo wir sie verloren hatten, und an den, der spricht: „Und siehe , ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Diese Erinnerung und dieses erwartende Warten heute Nacht tun uns gut, besonders für die Zeiten, wo wir in Gefahr sind, Hoffnung zu verlieren. Das Licht, was heute schon entzündet ist, trägt uns in den Morgen. Sie alle können sich nachher solch ein Hoffnungslicht mitnehmen für diese Nacht und für Erfahrungen, wo sie genau diese Botschaft brauchen.

Noch warten wir, es ist dunkel, wir werden noch ruhen bis zum Sonnenaufgang, aber dann freuen wir uns für die Freunde Jesu damals, für alle, die keine Hoffnung mehr haben und für uns. Wir sind nicht im Ungewissen, denn der Herr ist auferstanden. Er lebt und wir mit ihm. Halleluja. Amen.

 

Anke Dittmann ©

 

 

 

 

 

Predigt zur Jahreslosung

Der Friede und die Liebe Gottes sei mit uns allen. Amen.

Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. (Johannes 21,6)

Liebe Gemeinde!

Ein Mensch kann nicht lange ohne Wasser leben.  Genaue Tage kann man da wohl nicht angeben, aber ich fand dazu die folgende Information: Ein junger, gesunder Mensch wird ohne Flüssigkeit ungefähr drei bis vier Tage durchhalten; im Extremfall – und das gibt es immer wieder – bis zu elf, zwölf Tage (bei Verschütteten zum Beispiel). Aber das ist sicher das Maximum. Wenn ein Mensch verdurstet, ist die eigentliche Todesursache eine innere Vergiftung oder ein Kreislaufzusammenbruch. Denn: Besteht ein akuter Flüssigkeitsmangel, können die Nieren nicht arbeiten und die körpereigenen Gifte greifen alle Organe an. Auf der anderen Seite kann es durchaus sein, dass zuvor bereits der Kreislauf zusammenbricht und dadurch ein Multiorganversagen, Herzinfarkt oder Schlaganfall eintritt.

Durst zu haben ist also etwas Unangenehmes und sogar Bedrohliches, wenn man nichts zum Trinken findet. Wir hier haben es leicht, gehen, wenn wir Durst spüren, zum nächsten Wasserhahn, aus dem zum Glück Trinkwasser kommt, holen einen Saft, ein Bier oder eine Cola aus der Küche. Wir leben weder in der Wüste oder Dürrezonen noch in einer der Gegenden, wo es kaum sauberes Trinkwasser gibt. 768 Millionen Menschen haben ja laut Recherchen von Hilfsorganisationen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser mit all den schweren gesundheitlichen Folgen. Und umsonst bekommen sie kein sauberes Wasser, dafür sorgen schon die Konzerne, die sich an Mineralwasser in Entwicklungsländern ihre Nasen vergolden.  Also für uns ist Durst unangenehm, aber kein Problem. Für andere eine Überlebensfrage und tagtägliche Sorge. Es ist schon traurig, dass die Vereinten Nationen auch für ein Menschenrecht auf Wasser kämpfen müssen.

Wasser scheint es bei uns im Überfluss zu geben, die Himmelstore öffnen sich ja viel zu oft, gerade wird gestöhnt über die überfluteten landwirtschaftlichen Flächen. Eine Trennung von Brauch- und Trinkwasser ist bei uns vielleicht gerade mal in den Kinderschuhen und ein Bewusstsein dafür, dass es sich beim Wasser auf der Erde  um 97% Salzwasser und nur um 3% Trinkwasser handelt, was sich auch noch zumeist nämlich zu zweidrittel des Vorkommens im Eis an Nord- und Südpol und im Gletscherwasser befindet, kommt selten ins Gespräch. Fatal, wenn die Trinkwasserreserven wegschmelzen und sich mit dem Salzwasser vermischen.

Wasserqualität verbessert sich sogar an einigen Stellen. Es wird seit Jahren wieder in der Elbe gebadet und viele Gemeinden – auch unsere – achten auf Renaturierung von Zuflüssen zu Seen. Einsatz für lebendiges Wasser.

Umsonst ist das Wasser allerdings auch bei uns nicht. Die Wasserrechnung kann ganz schön teuer sein, und Mineralwasser hat in Restaurants manchmal erstaunliche Preise.

Wie wichtig Wasser ist, wird in der Bibel an vielen Stellen deutlich. Klar, weil die Menschen durch Wüsten zogen, in wasserarmen Gebieten ihre Tiere ernähren müssten und der Weg zum Brunnen beschwerlich war. Der gute Hirte führt zum frischen Wasser, Mose lässt eine Quelle aus einem Felsen hervorbrechen, als den geflohenen Sklaven in der Wüste Wasser fehlt, und nicht von ungefähr hat Gott sich für die Taufe das Element „Wasser“ ausgesucht.

Lebenswichtig ist also schon die grundlegende Bedeutung dieser Jahreslosung.

Unsere deutsche Sprache hilft uns aber, dem Durst noch tiefer nachzugehen. Durst haben und nach etwas dürsten ist ein Unterschied. Dürsten kann verlangen bedeuten, erwarten, wollen, gieren, lechzen, begehren, sehnen, vermissen, fiebern nach etwas, schmachten, Not leiden… 160 Synonyme kann man für das Wort finden.

Und Wortkombinationen zeigen auch die Hintergründigkeit vom Durst.  Es gibt ja nicht nur das Durstgefühl, sondern besonders in der Werbung Durstlöscher, wir kennen Durststrecken und es gibt auch Freiheitsdurst, Rachedurst, Wissensdurst…

Ich erkenne bei diesen Worten, wie durstig ich bin nach Dingen, die nicht einfach fließen, wenn ich einen Hahn dafür aufdrehe und wie gefährlich Durst sein kann.

Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Das ist eine Verheißung ohne Kleingedrucktes, das man besser noch mal genau lesen muss. Es ist eine bedingungslose Zusage. Die Quelle dieses lebensnotwendigen Wassers liegt in Gottes Liebe. Diese Liebe wurde in Christus lebendig und so kann Jesus sagen: „Wer an mich glaubet, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Wie ein Fluss sich von der Quelle aus ausbreitet, wird sich auch die Lebenskraft dieser Quelle durch uns verbreiten können mit all dem Guten, das Jesus vorgelebt hat.

Allerdings bleibt der Entschluss das lebendige Wasser zu nutzen und aus dieser Quelle zu trinken, bei jedem selbst. Man kann einen Durstigen zur Quelle führen, aber trinken muss er selber, lautet ein Sprichwort. (M.John)

Wenn das ausbleibt, wenn dieses lebendige Wasser Gottes nicht angenommen wird, führt das im übertragenen Sinne auch zu Vergiftungen, zu Organversagen oder Infarkten. Hätten wir der Liebe nicht… so sagt es Paulus, wäre alles nichts.

Gift und Galle spucken sich Zerstrittene ja oftmals ins Gesicht, Komplimente entschwinden hinter einem Pochen auf Schwachstellen, Streit um den richtigen Umgang mit Hilfesuchenden verstopft die Gänge in Verwaltungsgebäuden und führt zum Infarkt von Organen, überforderte Ämter, verunsicherte Polizisten können eine Folge sein. Giftige Atmosphäre breitet sich auch so weiter aus oder wir versalzen uns unsere Gemeinschaft. Lange Zeit geht so etwas nicht gut.

Und in den Dürregebieten in Beziehungen in der Familie, im Beruf, unter Freunden oder im Verein, wird ohne das lebendige Wasser der Liebe Gottes die Grundlage so trocken und hart, dass das Leben einen staubigen Geschmack bekommt und stimmungsmäßig nach unten zieht, oder dass Rachedurst aufbricht und damit Ellbogen ausgefahren werden, und Durststrecken werden unendlich.

Die Jahreslosung erinnert uns, dass das alles nicht sein muss und dass Gott sich das für uns viel besser wünscht. Gottes lebendigem Wasser folgt keine Nebenkostenabrechnung für unser Leben, sondern es ist ein unendliches Geschenk. Er bietet es an. Es annehmen und in uns aufnehmen müssen wir allerdings selbst, denn wir sind – wie Luther sagen würde – freie Christenmenschen. Wenn wir es annehmen, diese Liebe Gottes, diese Zusage seiner lebensnotwendigen Kraft, dann wird es dadurch aber für andere nicht weniger, sondern es vermehrt sich wie Freude und vermindert Leid.

Lassen wir uns an dies wunderbare Geschenk Gottes erinnern und verwandeln wir unser Leben miteinander in einen bewässerten, paradiesähnlichen Garten mit sauberem Wasser für alle. Amen.

 

 

Anke Dittmann ©

 

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