Ein Wort – angedacht

Flatterie

2016 hat der Dudenverlag ein Buch herausgegeben mit dem Titel: „Versunkene Wortschätze, Wörter, die uns fehlen werden“. Das hat mich sofort fasziniert. Für heute habe ich das Wort Flatterie ausgesucht, das Verb dazu flattieren. Und ich behaupte: Ich mag es gern, wenn jemand mir eine Flatterie zukommen lässt.

Vielleicht überlegen Sie jetzt mit Fragezeichengesicht, was ich da wohl bekommen möchte. Oder ob man das überhaupt haben möchte? Die große Flatter ist zumindest nicht gemeint, auch nicht etwas Unstetes, Sprunghaftes oder Unbeständiges. Ob es etwas zu essen meint, einen besonderen Vogel etwa, der nicht mehr rechtzeitig davonflattern konnte? Oder ob es eine neue Form – eine Serie etwa – der Flatrate meint – Flatterie? Im Duden ist das Wort zwischen Flatterhaftigkeit und flatterig zu finden, was gar nicht weiter bringt. Eher der Hinweis: Das Wort sei veraltet. Ich mag diese Art des Veralteten gern, weil es immer weniger wird bei uns in der Gesellschaft. Also, ich mag nicht das Veraltete allgemein, aber das Flattieren vermisse ich.

Das Wort hat französische Wurzeln und bedeutete im alten Germanischen: die flache Hand über etwas gleiten lassen. Das nun jeder und jede die flache Hand über mich gleiten lassen möge, ist natürlich von mir nicht gewünscht, weder für mich noch für andere. Die #Me-too-Bewegung und wir natürlich auch haben da noch viel am Verständnisarbeit vor uns, wie wir jetzt auch aus dem Frauenfußball wissen. Erfahrungen, über die früher nicht gesprochen wurde, leider.

Die Flatterie nun ist ein altes Wort für Schmeichelei. Jemanden einmal zu schmeicheln, Komplimente zu machen, Herzchen zu schicken oder Smilies, das fehlt mir in unserem Miteinander. Wie oft heißt es: Du siehst heute aber kaputt aus? Was hast du denn an? Du solltest mal zum Friseur gehen…Das schaffst du eh nicht. Was ist denn das wieder für eine Schnapsidee… Der Daumen geht runter. In harter Kritik sind wir gut.

Schauen Sie aber mal in die Gesichter der Menschen, denen Sie ehrlich etwas Gutes sagen. Zum Beispiel zu einem schönen neuen Kleidungsstück, einer gutsitzenden Frisur, einem tollen Wortwitz, einer richtig originellen Idee…

Solche Gesichter würde ich gern mehr sehen. Es würde sich auf unser ganzes Miteinander positiv auswirken.

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Üben darin, Komplimente zu verteilen oder eben Flatterien zu verschenken.

©Anke Dittmann 31.8.2023

 

Quelle: versunkene Wortschätze – Wörter, die uns fehlen werden

Dudenverlag, Berlin 2016

 

Ein Wort-angedacht

Eselsbank

Bei einer Fortbildung zum Thema Gerechtigkeit haben wir uns als Teilnehmende einmal ausgetauscht, wo wir persönlich in unserem Leben Ungerechtigkeit empfunden haben. Überraschend war, dass fast alle von Erlebnissen aus der Schule erzählten. Ich auch. Zensuren wurden als eher willkürlich empfunden, Lehrende hatte ihre Lieblinge. Individuelle Ideen waren nicht immer willkommen.

Dabei finde ich Lernen wirklich toll, und es gibt so viel Interessantes.

Tief verborgen in mir tauchte in diesem Zusammenhang ein Wort auf, das ich mit der Kindheit meiner Großeltern verbinde: die Eselsbank. Rigoros wurden dort die SchülerInnen platziert, die wiederholten oder auch überforderten, weil sie den Rahmen sprengten; die SchülerInnen also, die störten, frech oder bockig waren oder die wirklich nicht mitkamen und mehr Hilfe gebraucht hätten. Ganz hinten oder ganz vorn saßen sie extra und nicht nur das: Sie wurden abgestempelt – als Esel.

Esel sind natürlich nicht dumm, wie oft behauptet. Sprichwörtlich als dumm, faul und stur verrufen, ist er (der Esel) in Wahrheit gesellig, loyal und überaus neugierig.“ (https://welttierschutz.org/tierportrait-esel/ ) Umsonst ist der Esel nicht schon so lange Zeit ein Haustier des Menschen. Doch im Umgangssprachlichen stehen die Esel leider noch häufig für stur und dumm.

Ich kann mir vorstellen, dass auch manch ein/e Schüler/in auf der Eselsbank eine gesellige Seite hatte oder überaus neugierig gewesen ist und vielleicht auch ganz loyal zu der Einstellung, ein eigenes Individuum zu sein. Das ist nicht immer einfach im Miteinander, aber kein Grund, klein gemacht zu werden. Ich hätte an so einem Stempel aus der Schulzeit lange zu tragen gehabt, wenn mir doch manche Zensurenentscheidung noch nach Jahrzehnten so hartnäckig als Unrechtserfahrung nachhängt.

Der Begriff legt es uns auf jeden Fall ans Herz, pauschale Urteile und Schubladendenken  abzubauen, und solche Plätze – wie Eselsbänke – weder real noch im Kopf zu billigen, da sie Ungerechtigkeit auslösen und verletzen.

©Anke Dittmann 14.9.23

 

 

Ein Wort – angedacht

Kollateralverwandter

Ein Wort aus dem verblüffenden Dudenbuch: „Versunkene Wortschätze“ – Wörter, die uns fehlen werden: Kollateralverwandter. Das klingt gar nicht so fremd, wenn man bedenkt, dass kollateral benachbart, seitlich angeordnet bedeutet. Ein Kollateralverwandter von mir wäre also etwa der Bruder von der Schwägerin meiner Cousine dritten Grades, kurz ein fast Unbekannter.

Bekannt wird dieser nur, wenn er zu einem Kollateralschaden für die weite Familie wird. Zu einer unbeabsichtigten, fatalen Nebenwirkung. Etwa zu einem Menschen, wo man sagen möchte, der oder die gehört nicht zu uns. Militärisch sind Kollateralschäden traurige, unerträgliche Geschehnisse mit unschuldigen Opfern, die in Kauf genommen werden. So weit kommt es aber im Familiären seltener. Aber unbeabsichtigte schlechte Nebenwirkungen gibt es von Verwandten zuhauf, da kennt jeder und jede Geschichten. Manchmal tauchen plötzlich menschenverachtende Parolen auf, manche Familien werden auseinandergemobbt, wenn sie das zulassen. Neid und Erbstreitigkeiten ziehen sich durch entfernteste Verwandtschaftszweige, die wir leider zu spät beschnitten haben. Unversöhnlichkeit, Rechthaberei…

Doch muss das Kollaterale nicht nur negativ sein. Kollaterale sind auch Gefäße im Blut- und Nervensystem, die uns versorgen, wenn Hauptleitungen verstopft sind oder etwa bei Operationen gekappt werden müssen. Also schon vorab eine rettende Notumleitung oder segensreiche Seitenlinie. So können uns Kollateralverwandte vielleicht auch zu Helfenden werden. Sie können eventuell etwas, was andere in der Familie nicht mehr mittragen können, oder einspringen, wo jemand fehlt. Sie geben Ratschläge als Spezialisten in Gebieten, wo sonst keiner eine Ahnung hat. Und dann kommen plötzlich die unbekannten Verwandten zusammen und bereichern sich, geben Gartentipps und packen mit an, haben tolle Rezepte, finden noch Fotos von längst verschollenen Erinnerungen…

Schauen wir hin, wer uns in der weitläufigen Familie zum Kollateralschaden wird oder zur rettenden Kollateralen. Und gucken wir auch selbstkritisch auf uns, in welcher Richtung wir uns eher einordnen würden.

Im besten Fall entwickelt sich ein tragendes weites Netz, das zusammenhält und uns gegenseitig trägt. Bei Kollateralverwandten, läuft es gut, kann die Seitenlinie gar nicht lang genug sein.

© Anke Dittmann 31.8.2023

Quelle: versunkene Wortschätze – Wörter, die uns fehlen werden, Dudenverlang, Berlin 2016

Tunneldurchhaltekompetenz

Ein Wort – angedacht

Tunneldurchhaltekompetenz

Ich weiß nicht mehr, wo mir dieses Wort zuerst begegnet ist und wem wir diese wunderbare Wortschöpfung zu verdanken haben. Mir hat das Bild gleich gefallen.

Manchmal fährt uns das Leben wie an eine Wand. Es gibt keinen Blick nach vorn, keine Möglichkeit, Geschehenes zu überwinden. Und doch geht das Leben weiter und die Zeit bleibt nicht stehen. Doch es fühlt sich oft an, wie in einem Tunnel.

Tunnel – davon gibt es auf der Welt viele. Sie helfen voranzukommen, wenn uns Berge im Weg stehen, die nicht so leicht zu überwinden sind. Oder wenn wir etwas untertunneln müssen, Gewässer etwa, Bahnschienen, breite Straßen. Sie nützen uns also. Manchmal sind sie viel länger als gedacht und unheimlich. Manchmal braucht es Jahrzehnte, den Durchbruch zu schaffen. Manchmal ist es lange dunkel, bis wir das Licht am Ende des Tunnels sehen.

Wie ist das auszuhalten? Ich brauche Vertrauen, dass ich nicht vor einer Wand stehe, sondern vor einem – wenn auch noch undurchsichtigen – Weg, der ein Ende findet. Ich brauche Hoffnung, dass es wieder hell wird, und die Berge oder die Fluten sollen danach über – oder unterwunden sein.

Miteinander durch Tunnel gehen oder fahren, mit Menschen, denen ich vertraue, den Eltern, den Großeltern, die sicher wissen, dass Tunnel ein Ende haben, sind eine grundlegende Lebenserfahrung, ganz einfach, fast zu selbstverständlich, und doch entscheidend. Wer in einem Tunnel ist und hindurchgeht, wird auch wieder herauskommen.

Doch zunächst ist da dunkel, kein Blick für irgendwelche neue Richtung, nur ein stures Folgen der vorgefundenen Röhre. Wir funktionieren. 

Wenn wir in Gefahr sind, dort stehen zu bleiben, helfen Gespräche mit Menschen, die Tunnel im Leben durchgehalten haben: Schmerz, Trennung, Trauer, Sorgen, Krankheit. Solcher Austausch stärkt Vertrauen, dass auch mein Tunnel ein Ende haben kann und wird.

Reden wir miteinander, erinnern wir uns an ganz kindliche Grunderfahrungen, suchen wir Nähe zu Menschen, die Tunnelerfahrungen nicht wegreden oder ihnen ausweichen. Dann baut sich eine Widerstandskraft auf, eine Kompetenz, den Tunnel nicht als Endstation, sondern als Durchgang zu wieder besseren Zeiten begreifen zu können.

Zugegeben, hinter dem Tunnel kann und wird es wohl ganz anders sein, und manches kommt nicht zurück. Wer Richtung Süden durch die Alpentunnel fährt, kann immer wieder über ganz neue Eindrücke nach jedem Ende erzählen, als wäre man auf einmal in einer anderen Welt. Doch es zeigt, es gibt eine Zukunft, die lohnt. In der Bibel sagt Jesaja es so: Aber die Zeit der Finsternis und der Hoffnungslosigkeit wird einmal ein Ende haben. (zitiert nach: Hoffnung für alle, Jesaja 8,23).*

Wenn wir eine gewisse Tunneldurchhaltekompetenz im Leben mit auf den Weg bekommen haben von denen, die uns ins Leben geleiteten, dann können wir unsere Tunnel durchschreiten, nicht immer mit festen Schritt, manchmal sicher auch mit wackeligen Knien. Und wir können denen, die sich im Tunnel nicht weitertrauen, die Hand reichen und so weit mitgehen, bis sie das Licht am Ende des Tunnels zumindest erahnen. Und dann ist die Tunneldurchhaltekompetenz wieder ein Stück größer geworden unter uns, und auch andere können sie weitergeben. Und je mehr das geschieht, desto hilfreicher können wir die Tunnel begreifen, nicht als ewiges Dunkel, sondern als nötigen Weg, Veränderung anzunehmen und zu gestalten.

©Anke Dittmann 2.9.23

* Direkt an dies Wort von Jesaja schließt sich eine der Weihnachtsverheißungen an (Jesaja 9 zitiert nach „Hoffnung für alle“): Das Volk, das in der Finsternis lebt, sieht ein großes Licht; hell strahlt es auf über denen, die ohne Hoffnung sind. Denn uns ist ein Kind geboren! Ein Sohn ist uns geschenkt! Er wird die Herrschaft übernehmen. Man nennt ihn »Wunderbarer Ratgeber«, »Starker Gott«, »Ewiger Vater«, »Friedensfürst«. Er wird seine Herrschaft weit ausdehnen und dauerhaften Frieden bringen. 

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