© Anke Dittmann
Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Erlöser. Amen.
Liebe Gemeinde!
Ich möchte Sie heute zur Geschichte vom barmherzigen Samariter zu einer kleinen Erzählung einladen, die uns in die Zeit Jesu führt:
In Jerusalem sah ich einen Kaufmann in der Schänke sitzen. Um ihn herum waren viele Männer, die die Ohren spitzen. Auch ich wollte seine Geschichte hören. Der Mann war gut gekleidet, schien wohlhabend zu sein. Was hatte er zu erzählen? Es gelang mir ganz nah an ihn heranzukommen. Seine Stimme zog mich in den Bann.
„Jeder kennt meine Geschichte“, begann er, „aber keiner kennt meinen Namen. Aber eigentlich glaubt nur jeder meine Geschichte zu kennen, denn selten wird sie ganz erzählt. Hört zu:
Ich bin ein Kaufmann, oft muss ich den Weg von Jerusalem nach Jericho gehen und von Jericho nach Jerusalem. Ihr wisst, der Weg ist gefährlich. Seit immer mehr Menschen in unserem Land verarmen, hat sich die Zahl der Überfälle erhöht. Gerade die Zeloten, die Widerstandskämpfer gegen die Römer, liegen dort oft auf der Lauer, aber auch hungernde Bauern, denen man das Land geraubt hat. Ich war allein, hatte gerade gute Geschäfte gemacht. Meine Ware wollte ich schnell nach Jericho bringen, dort wartete ein guter Kunde, der war Gold wert.
Als ich dort meine Straße zog, hörte ich auf einmal ein Stöhnen. Es klang jämmerlich. Dann sah ich hinter einem Felsen am Straßenrand ein paar Beine hervorgucken. Ob das eine Falle war? „Hilfe“, hörte ich dann jemanden rufen. Falle oder Hilferuf? Ich war unsicher. Da ich unter Zeitdruck war und an mein Geschäft dachte, ließ ich die Rufe hinter mir und ging weiter. Vielleicht kamen ja andere, dachte ich.
Auf dem weiteren Weg wurden mir die Schritte schwerer und ich hörte die kläglichen Rufe immer noch, obwohl ich längst außer Reichweite war. Egal, ich muss an mich und meine Familie denken.
Meine Geschäfte in Jericho liefen planmäßig, es kam sogarnoch mehr Geld raus, als ich gedacht hatte. Meine Familie freute sich später mit mir über den guten Verdienst. Bald ging ich wieder zu ihnen nach Jerusalem zurück.
Man kann ja nicht die ganze Welt retten, dachte ich auf dem Rückweg, als ich an der Stelle vorbeikam, wo ich die Hilferufe gehört hatte. Es war niemand mehr da.
Ich vergaß die Sache.
Und dann hatte ich wieder so gute Ware erhalten, die ich in Jericho noch besser würde verkaufen können. Ich zog los mit meinem Lastesel. Wie immer allein, dann war der Gewinn am höchsten. Doch diesmal meinte das Schicksal es nicht gut mit mir. Zwischen kleinen Büschen und Felsen stürzten sich Räuber auf mich. Ich bekam einen harten Schlag auf den Kopf und fiel zu Boden. An mir wurde herumgerissen und ich wurde getreten, mein Esel schrie mürrisch auf und sein Rufen wurde dann immer leiser. Ich sah ihn nie wieder. Ich fiel in Ohnmacht und wurde erst wieder wach, als die Sonne hoch am Himmel stand. Alles tat mir weh, meine Zunge klebte am Gaumen. Ein Himmelreich für ein Schluck Wasser, dachte ich.
Dann hörte ich jemanden kommen. Endlich Hilfe. Ich stöhnte auf. Doch der Mann, dessen Gewand fast mein Gesicht streifte, ging einfach weiter. Wirklich, er sah mich da liegen und ging weiter! Sein Gewand war schön, wie es die Priester im Tempel tragen. Das kann nicht sein, dachte ich und dann war wieder alles dunkel.
Wieviel Zeit dann vergangen war, weiß ich nicht, aber ich hörte wieder etwas. Jetzt aber, dachte ich. Jetzt aber! Doch wieder kamen und gingen die Schritte als wäre ich nichts. Mein Ende! Es wurde wieder dunkel um mich.
Plötzlich aber spürte ich auf einmal den Atem eines Tieres. Ich schreckte auf! „Ruhig, nur ruhig“, sagte da jemand neben mir am Boden. „Es ist nur mein Esel.“ Kurz darauf spürte ich einen Wasserschlauch an meinem Mund. Ich lebte, jemand war mir zur Seite. Ich öffnete die Augen. Ein Mann kniete bei mir und wusch mir die Wunden mit Öl und Wein und verband sie. Ich starrte ihn an, es war ein Samariter, unverkennbar war es an der Kleidung zu erkennen. Stellt euch das vor, ein Samariter, mit denen wir doch verfeindet sind. Der half mir. „Viel kann ich nicht tun“, sagte er, „schaffst du es auf meinen Esel? Dann bringe ich dich zum nächsten Gasthof, da kannst du dich erholen.“ Ich versuchte zu nicken, fiel aber wieder in Ohnmacht.
Erst später erkannte ich, dass ich fiel Blut verloren haben musste, die Verbände waren fast durchgeweicht davon. Der Samariter hat mich irgendwie auf seinen Esel gekriegt. Wie? Keine Ahnung. Dann brachte er mich zur nächsten Herberge. Ich hatte ja aber nichts mehr, weder Kleidung, noch Waren, geschweige denn Geld. Und dann hat er noch, wie ich später vom Wirt erfuhr, alles für mich bezahlt. Als ich erholter war, wurde mir bewusst, dass mir der Fremde das Leben gerettet hatte, der Samariter. Und was hatte ich getan?
Es dauerte bis ich wieder ins Geschäft kam. Ich war ganz schön angeschlagen und noch immer habe ich Schmerzen im rechten Bein. Aber wir hatten genug Rücklagen, Gott sei Dank.
Nach Wochen zog ich wieder los von Jerusalem nach Jericho. Mir wackelten die Knie. Meine Frau wollte, dass mein großer Sohn mitkommt, aber ich wollte unbedingt allein gehen, nur so konnte ich die Angst überwinden. Es ging gut.
Das Geschäft war okay und ich machte mich auf den Rückweg von Jericho nach Jerusalem. Ich ging langsamer als früher wegen dem Bein und auch weil ich nachdenklicher geworden bin.
Da hat mich doch mit schnellen Schritten ein Levit überholt, ein Gesetzeslehrer. Der hat es aber eilig, dachte ich noch.
Ein Stück weiter holte mich ein Priester ein, der es auch so eilig hatte, ob die beiden Angst vor den Räubern hatten? Das Gewand kommt mir bekannt vor, dachte ich noch, als er vorbeizog.
Und dann hinter der nächsten Wegbiegung lag ein Verletzter mitten auf dem Weg. Er stöhnte. Ich beschleunigte, so gut es ging, meinen Schritt. Den Priester sah ich gerade noch davonlaufen. „Hey, bleib stehen, rief ich, hier braucht jemand unsere Hilfe!“ Doch der Priester ging weiter. „Um Gottes Willen, bleib stehen“, schrie ich. Da blieb er stehen und drehte sich langsam um. Ich war jetzt bei dem Verletzten, beugte mich herab und gab ihm ein Schluck Wasser. „Räuber“, hauchte er. „Räuber.“ Er zitterte. Sein Zittern übertrug sich auf mich. Ich hatte Mühe von meinem Gewand einen Streifen abzureißen.
„Hier“, sagte da auf einmal eine Stimme und reichte mit ein Stück Stoff. Ich schaute hoch. Der Priester war tatsächlich umgekehrt.
Wir versorgten den Mann gemeinsam. Nachdem er sich erholt hatte, hakten wir ihn unter und trugen ihn bis zur nächsten Herberge. Das war anstrengend und ich vermisste meinen Esel. Ich gab dem Wirt ein Geldstück, damit er den Überfallenen pflegte, der Priester gab auch etwas. Dann ging Der Priester mit einem stillen Gruß davon.
Ich trank noch einen Krug Wein. So viel ging mir durch den Kopf. Der Levit musste den Verletzten doch auch gesehen haben, hatte der nur seine Reinheitsgebote im Kopf oder warum ging er vorbei? Und warum war ich damals vorbeigegangen? Ich dankte in Gedanken noch einmal dem Samariter, der nun nicht nur mir damals, sondern durch sein Handeln auch dem Überfallenen heute geholfen hatte.
Als ich aufbrach, kam ein Samariter in die Herberge. Ich kannte ihn nicht, aber ich grüßte ihn fast überschwänglich. Er schaute mich verwirrt an, grüßte aber zurück.
Wenn ich jetzt den Weg gehe, habe ich immer etwas mehr Wasser und Stoffbinden dabei. Zum Glück brauche ich es nicht so oft. Benötige ich es nicht, teile ich es mit denen, die mich mit schnellen Schritten überholen. Für ein Schluck Wasser hält jeder an. Manchmal erzähle ich dann auch diese Geschichte. Meine ganze Geschichte von dem Menschen ohne Namen und dem Samariter ohne Namen. Ich werde nie vergessen, dass ich von einem Samariter gelernt habe, wer mein Nächster ist.
Später habe ich einmal gehört, wie jemand, der mit Schülern durch unser Land zog, Ähnliches erzählte. Und der sagte am Schluss: So geht nun hin und tut desgleichen! Das ist auch meine Botschaft für Euch!
Die Geschichte war zu Ende. Ein Moment war Stille um den Mann in der Schänke. Ganz leise fragte einer: Ein Samariter, war das wirklich ein Samariter? Der Mann nickte. Nachdenklich zogen sich die Männer um den Erzähler zurück. Manche tranken noch einen Wein, viele gingen still nach draußen. Mir blieben die Schlussworte im Kopf hängen: So geh nun hin und tue desgleichen! Wo war ich schon überall einfach so vorbeigelaufen. Würde ich beim nächsten Mal helfen?
Und der Friede des Gottes, der uns bedingungslos liebt, sei mit uns, dass wir ihn mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit allen Kräften lieben können, so dass er unsere Herzen und unsere Sinne bewahren kann, damit wir unsere Nächsten lieben lernen wie uns selbst. Amen.
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