Marko wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich wieder gesund zu sein. Er ärgerte sich über seinen Sportunfall so kurz vor Weihnachten. Warum wollten seine Eltern auch unbedingt, dass er Handball spielen sollte. Nun war er im Spiel so stark mit dem großen Nils aus der gegnerischen Mannschaft zusammengerasselt, dass er sich den Arm gebrochen hatte, von der leichten Gehirnerschütterung ganz zu schweigen. Und was hat ihm das eingebracht? Einen Krankenhausaufenthalt!
Mit ihm auf dem Zimmer lagen Tom und Simon. Tom war ja noch ganz lustig, der hatte wenigstens ’nen Fernseher dabei und ließ ihn ab und zu mitgucken, aber Simon, der war noch viel kleiner und spielte ständig mit seinem Dinosaurier aus Gummi.
Davon hatte Marko sogar schon einmal geträumt, nicht von Simon, aber von dem Dinosaurier. Marko sah sich im Traum in einem großen Schwimmbad. Gerade war er ins Wasser gegangen und ein paar Runden geschwommen, da kamen Cheerleader am Beckenrand aufmarschiert und tanzten. Wenig später kam auf einmal dieser Riesendinosaurier aus der Damendusche, herausgeputzt wie zum Geburtstag. Die Cheerleader riefen: „Auf ein langes Leben!“ und dann sprang der Dino unter ihrem Applaus mit Anlauf ins Schwimmbecken, fast dem Marko auf den Kopf. Da war er aufgewacht – mit Kopfschmerzen natürlich. Simon und der Dino konnten ihm gestohlen bleiben.
Mama und Papa besuchten ihn jeden Tag, zusammen oder abwechselnd. Sie trösteten ihn damit, dass er ja bald wieder nach Hause könne, bis Weihnachten auf jeden Fall. Wäre ja auch noch schöner! Nur den Gips, den müsste er wohl noch länger tragen.
„Ich gehe nie wieder zum Handball.“ Das hatte Marko seinen Eltern schon klargemacht.
Aber seine Mutter hatte nur gesagt: „Was willst du denn dann machen, etwa zum Ballett gehen, als Primaballerina?“ Manchmal war Mama wirklich unmöglich.
„Vor mir aus, alles ist besser als Handball“, hatte er patzig geantwortet und hätte fast noch seine Zunge herausgestreckt.
Dabei wollte er eigentlich etwas ganz Anderes machen. Marko liebte Musik. Viel lieber als zum Sport zu gehen, wäre er Mitglied in einer Band. Das wäre doch was: Schlagzeug spielen oder E-Gitarre. So richtig laut, mal alles raus lassen, was so in ihm steckt. Aber sein Vater hatte kein Verständnis dafür, es sei denn, es ginge um Blasmusik. Aber Flügelhorn wollte Marko nun wirklich nicht spielen lernen.
Als er mit Tom darüber sprach, hatte der gesagt: „Sei froh, dass du keine Schwester hast wie ich. Mein Schwester Marina macht immer alles richtig, die ist super in der Schule, die tanzt Ballett, die spielt Klavier, die will auch immer alles vorspielen. Da kann ich mit meinem bisschen Sport im Turnverein nicht mithalten. Versuch ich auch gar nicht mehr und schau lieber Fernsehen.“ Tom war also keine wirkliche Hilfe.
Als er den dritten Tag im Krankenhaus war, kam unerwarteter Besuch. Niemand von den Kindern hatte an so etwas gedacht. Das Krankenhaus hatte einen kleinen eigenen Radiosender. Jetzt zu Weihnachten wurden alle Patienten gebeten, ihre Wünsche aufzuschreiben. Auch die Kinder. Es waren Jugendliche aus der benachbarten Kirchengemeinde, die die Aktion mit vorbereitet hatten. So kam es, dass Niko und Sönke zu den Jungs ins Krankenzimmer kamen. Man konnte ihnen ansehen, dass sie sich etwas unsicher fühlten. Sie stellten sich vor und verteilten ausgeschnittene Sterne, auf die die Kinder ihre Wünsche schreiben sollten, wie alle anderen Patienten auch.
Dem kleinen Simon mussten sie dabei etwas helfen.
„Was wünschst du dir?“ fragte ihn Niko.
„Noch einen Dinosaurier“, rief er aus.
„Ich glaube es nicht“, stöhnte Marko.
Tom wünschte sich, dass er Weihnachten nach Hause könne. Marko wusste, dass das noch nicht sicher war, denn Tom hatte einen komplizierten Trümmerbruch im Fuß.
„Und du?“, wurde schließlich er gefragt.
„Ich weiß nicht“, antwortete er langsam.
„Hast du keine Hobbys?“, wollte Sönke wissen. „Ich mache zum Beispiel Musik.“
„Echt?“ Marko richtete sich interessiert auf. „Was denn für Musik?“
„Flügelhorn“, antwortete Sönke stolz und Marko fiel wieder in sich zusammen. Gab es denn niemanden, der ihn verstand?
„Ich will nur meine Ruhe haben“, sagte er leise.
„Dann lassen wir dir den Stern hier“, sagte Niko, „vielleicht fällt dir später noch etwas ein. Die Wünsche werden übrigens morgen Mittag im Radiosender auf Kanal Zwei vorgelesen. Vielleicht geht ja einer in Erfüllung, wenn alle aneinander denken.“ Sönke und Niko verließen das Zimmer mit herzlichen Grüßen.
Marko ließ den Stern zunächst außer Acht. Was sollte er sich wünschen?
Als seine Eltern am Nachmittag kamen, erzählte er von dem Stern.
„Wünsche dir doch Frieden“, meinte seine Mutter, „den brauchen wir am meisten.“
„Das ist doch kein Wunsch für einen 10-jährigen Jungen“, entgegnete der Vater.
„Fällt dir was Besseres ein?“, sagte die Mutter.
„Ein Handball“, antwortete sein Vater. Marko hielt sich die Ohren zu.
Gegen Abend war der Stern immer noch nicht beschrieben. Simon war schon an der Seite seines Dinosauriers eingeschlafen, Tom hatte noch den Fernseher laufen und die Kopfhörer im Ohr. Marko starrte an die Decke.
„Wie schön wäre es, wenn mich wirklich jemand verstehen würde?“, dachte er. „Keiner versteht, was ich wirklich will“, murmelte er vor sich hin.
„Vielleicht wäre das ein Wunsch für deinen Stern“, hörte er auf einmal die Stimme der Abendschwester. Marko zuckte zusammen, er hatte sie gar nicht kommen hören, so in Gedanken war er. Sie hatte den Stern kurz zur Seite gelegt, als sie ihm etwas Wasser hinstellte.
„Du hast doch den Stern noch nicht beschrieben, wünsche dir doch, dass jemand erkennt, was du wirklich brauchst und willst. Ich finde, das ist ein schöner Wunsch. Außerdem ist es manchmal gar nicht so leicht zu erkennen, was ein anderer wirklich braucht.“
„Du meinst, ich soll das als Wunsch auf den Stern schreiben?“
„Warum denn nicht? Es ist doch dein Wunsch, oder?“
Marko nickte.
„Soll ich dir helfen wegen deiner Hand?“
„Nein, es geht schon“, antwortete Marko, nahm einen Stift aus der Nachttischschublade und beschriftete den Stern. ‚Ich wünsche mir, dass mich jemand wirklich versteht und mir zuhört, was ich möchte. Marko’, schrieb er auf den Stern und unterstrich das „ich“ vor „möchte“.
„Ich kann den Stern mitnehmen und beim Sender unten im Haus abgeben“, bot die Krankenschwester an, „dann geht der Wunsch morgen noch auf Sendung.“
Am nächsten Tag schalteten alle zur Mittagszeit das Radio laut. Sie waren gespannt darauf, ihren Wunsch zu hören und darauf, was sich andere gewünscht hatten. Der Krankenhauspastor leitete die Sendung ein, Niko und Sönke waren auch mit dabei. Als er gerade damit begann, die Wünsche vorzustellen, kam überraschend Markos Mutter ins Zimmer.
„Du? Jetzt schon?“, rief Marko.
„Nette Begrüßung“, antwortete seine Mutter irritiert.
„Psst“, meinte Tom, „ich will unbedingt meinen Wunsch hören.“
„Welchen Wunsch?“, fragte Markos Mama nach.
„Ach, hör jetzt einfach mal zu, Mama“, meinte Marko nur.
Seine Mutter schwieg.
Viele Wünsche der Erwachsenen fanden die Jungs in Markos Zimmer langweilig.
„Wer lange im Bett liegen muss und viele Schmerzen hat, wünscht sich doch nicht wirklich Weltfrieden, oder?“, kommentierte Tom.
Aber immerhin sollte fünfunddreißig Mal ‚Gesundheit’ auf den Sternen` gestanden haben. Viele hatten dazu Wünsche für Familienmitglieder. Eine hatte auch einen Wunsch für ihren Arzt, den Wunsch nämlich, dass er noch vielen anderen Menschen helfen könne. Marko fand, dass das ein schöner Wunsch war.
„Und jetzt kommen wir zu den Wünschen der Kinder“, ertönte die Stimme des Pastors durch den Lautsprecher. „Anna aus dem Zimmer Zwei der Kinderstation wünscht sich…“ und es folgten viele Sachwünsche all der Kinder im Haus Drei des Klinikums. Marko beobachtete, wie Simon sehnsüchtig auf seinen Dinosaurierwunsch wartete und jubelte, als er seinen Namen hörte.
„Wir haben aber auch andere Wünsche“. Jetzt war es die Stimme von Niko. „Ingalena zum Beispiel wünscht sich, dass ihre Oma mit der Familie Weihnachten feiern kann.“
Dann kam Sönkes Stimme: „Wiebke wünscht sich, dass sie sich mit ihrer Zwillingsschwester besser versteht.“
Wieder Niko: „Sandra hofft darauf, dass ihre Eltern wieder zusammenziehen, sie ist traurig, dass sie sich getrennt haben.“
„Und zwei Jungs aus Zimmer Sieben“, begann Sönke, „wünschen sich dies: Tom möchte unbedingt Weihnachten nach Hause und das ist noch nicht sicher, weil sein Fuß so schwer verletzt ist. Also drücken wir ihm die Daumen! Und ganz spät erreichte uns gestern noch der Wunsch von Marko. Er schreibt: …“
„Na, da bin ich ja gespannt“, sagte Markos Mama.
„…Ich wünsche mir, dass mich jemand wirklich versteht und mir zuhört, was ich möchte, und er hat das „ich“ vor dem „möchte“ dick unterstrichen.“
Marko bemerkte, dass seine Mama schluckte und ihn dann fragend und traurig ansah.
„So viele Wünsche und Hoffnungen“, sagte der Pastor. „Wir bitten darum, dass sie in rechter Weise in Erfüllung gehen und denken an all die Menschen, die diese Wünsche in sich tragen. Wir werden alle Wünsche auf den Sternen in unserer kleinen Klinikkirche aufhängen, als Wunschsternenhimmel. Vielen Dank an alle, die sich beteiligt haben und an die Jugendlichen, die die Aktion mit durchgeführt haben.“
Es folgte Musik.
Mamas Schweigen war unerträglich. Dann räusperte sie sich und sagte: „Ich will es versuchen, Marko. Ich versuche es eigentlich immer, aber vielleicht habe ich nicht richtig zugehört?“ Sie legte ihre Hände hinter die Ohrmuscheln und sagte: „Also, ich bin bereit, schieß los.“
Marko musste lachen, weil seine Mutter mit den Händen hinter den nun vor geklappten Ohren so aussah, als hätte sie Elefantenohren.
„Marko, ich meine es ernst“, sagte sie.
„Okay, Mama. Also: Ich möchte wirklich nicht Handball spielen und auch keinen Handball geschenkt bekommen.“
„Angekommen. Und weiter?“
„Ich möchte auch keine Primaballerina werden.“
„Gott sei Dank.“ Mama seufzte erleichtert.
„Aber ich möchte gern Schlagzeug spielen oder Gitarre. Ich liebe Musik, aber nicht die von Papa.“
„Aha.“ Mama wirkte nachdenklich. „Schlagzeug oder Gitarre“, wiederholte sie dann.
„E-Gitarre am besten“, bekräftigte Marko.
„Und weißt du, was ich möchte?“, fragte sie Marko dann.
„’Nen braven Jungen?“, antwortete er.
„Das ist zwar ganz schön, aber wichtiger ist mir doch ein glücklicher Junge“, sagte sie, „gut, dass du den Stern noch beschriftet hast.“
Jetzt war Marko auch froh darüber. Seine Mutter gab ihm ein Küsschen auf die Stirn.
Marko erholte sich gut und einige Tage später durfte er nach Hause. Er verabschiedete sich von Simon und dessen Dinosaurier und von Tom, der ihn überglücklich anstrahlte, weil er erfahren hatte, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen würde: Er konnte zum Weihnachtsfest für zwei Tage nach Hause.
Bevor Marko das Krankenhaus verließ, wollte er unbedingt noch einmal mit seinen Eltern in die Klinikkirche, um den Sternenhimmel zu sehen. Die kleine Kapelle war schummrig beleuchtet und links vom Altar stand schon die Weihnachtskrippe, aber noch ohne Jesuskind. Über der Krippe an der Wand fanden sich all die Sterne mit den Wünschen der Patienten.
„Das ist schön, Mama“, sagte er ganz leise, „hoffentlich gehen ganz viele Wünsche in Erfüllung.“
„Bestimmt“, meinte sie.
Marko schwieg während der ganzen Rückfahrt im Auto. Der Sternenhimmel ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Egal, was er zu Weihnachten bekommen würde, ein Wunsch war schon in Erfüllung gegangen: Seine Eltern hatten ihm zugehört und ihn besser verstanden. Das hatte er gespürt.
Anke Dittmann ©
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