Pit fasste mich am Arm und riss mich zu sich herum. „Was machst du denn hier“, rief er so laut, dass sich mehrere, die an uns vorübergingen, umdrehten. Pit ist mein großer Bruder. Wir haben nicht viel gemeinsam. Und meistens findet er mich nur nervig und peinlich.
„Ich sammle Spenden für Afrika“, antwortete ich und hielt ihm die Dose vor die Nase. Einschüchtern lasse ich mich schon lange nicht mehr, auch wenn Pit fünf Jahre älter ist als ich.
„So ein Schwachsinn“, tönte er zurück, „das kommt doch eh nie an.“
„Ich glaube daran, denn eine Gruppe aus der Gemeinde fährt da selbst hin und wir haben auch in der Schule schon…“, bevor ich ausreden konnte, unterbrach mich mein Bruder.
„Kannst du nicht mal was Normales machen? Sport oder Musik. Wenn dich hier jemand sieht aus meiner Klasse…“
Hatt’ ich’s mir doch gedacht, die Sache war ihm wieder peinlich. Dabei wusste er doch, dass ich auch gern zum Handball gehe und bald mit Gitarre anfangen würde. Doch, dass ich mich in einer Gruppe für arme Menschen engagiere, dass konnte er nicht verstehen. Genauer gesagt bin ich in einer neuen „Eine-Welt-Gruppe“, wir haben sie in der Schule gegründet, nachdem wir über Ostafrika gesprochen haben.
Und manchmal gehen wir eben sammeln und informieren andere in der Einkaufzone über den Hunger in der Welt, über wachsende Dürre und über Unrecht. Mir ist das wichtig. Neben unserer Lehrerin, unserem Pastor und drei anderen aus der achten Klasse, sind wir noch vier aus der fünften Klasse, die mitmachen.
„Wenn mich jemand aus deiner Klasse sieht, werde ich ihn freundlich grüßen und ihm sagen, dass du uns voll Freude unterstützt hast“, entgegnete ich.
Bei Pit stieg nach diesen Worten Wut auf. Doch, als meine Lehrerin sich zu mir umdrehte, verdrückte er sich – Gott sei Dank!
Erst am Abend sahen wir uns wieder. Er war nun besserer Laune, denn er hatte günstig ein Trikot von seinem Lieblingsverein bekommen, ein echtes Schnäppchen. Natürlich hatte er es gleich angezogen. Es sah echt cool aus.
„Dafür solltest Du mal sammeln gehen“, meinte er.
„Wir haben fast 350-€ zusammen bekommen, dafür können Hilfsgüter und Medikamente gekauft werden oder Saatgut oder Zelte für Flüchtlinge.“
Pit holte Luft, aber meine Mutter griff wie immer ein, bevor es zwischen Pit und mir richtig krachen konnte. „Jedem das seine, Pit. Ich finde es gut, dass sich Mark in der Gruppe engagiert. Und dein Trikot ist auch toll, da hast du echt Glück gehabt.“ Das war das Zeichen für Pit, dass er jetzt den Mund halten soll.
Egal, was Pit meinte, ich blieb in der Gruppe aktiv. Und was dann geschah, hätte ich mir nie träumen lassen. Nach den Herbstferien kam Susan in die zehnte Klasse meines Bruders. Sie kam aus den USA und lebte für ein Jahr bei unserem Pastor. In den ersten Wochen hatte sie noch einen Deutschkurs, deshalb war sie später gekommen. Ich lernte sie kennen, als sie in unsere Gruppe kam. Ich mochte sie gleich und ihren amerikanischen Akzent fand ich lustig. Dass Susan sicher mit das hübscheste Mädchen an der Schule war, interessierte mich damals noch nicht so.
Beim Abendessen erzählte ich vom letzten Treffen.
„Also, bei uns in der Gruppe ist jetzt ein Mädchen, mit einem ganz komischen Akzent“, begann ich. „Sie kommt aus Tennessee, das ist ein Staat der USA.“
„Was du nicht sagst.“ Pit machte sich mal wieder über mich lustig. „Ich dachte, das liegt am Südpol.“
„Du bist ja auch blöd“, gab ich zurück. Und schon hob Mama wieder beschwichtigend die Hand. Keinen Streit beim Essen.
„Der macht mich noch ganz krank mit seinem Gesabbel“, meinte Pit.
„Trink lieber noch ein Schluck, Pit, und halt den Mund“, griff da Papa ein. Dann fragte er mich: „Wie heißt denn das Mädchen?“
„Susan“, antwortete ich kurz, doch diese Antwort veränderte alles.
„Susan?!“, fragte Pit ungläubig nach. „Die ist doch bei uns in der Klasse. Und ich dachte, es sind noch mehr aus Tennessee gekommen und du meinst jemand anderen.“ – „Echt, die Susan ist bei dir in der Gruppe?“
„Sag mal, was ist denn mit dir los?“, fragte ich.
„Wann findet eure Gruppe immer statt?“, fragte er geistesabwesend zurück.
„Immer dienstags um 18 Uhr“, sagte ich. „Wir treffen uns im Gemeindehaus.“
„Und die Susan ist auch da?“, wollte Pit genau wissen.
„Yes, Sir!“, antwortete ich und konnte mir ein gewisses Grinsen nicht verkneifen.
So kam es, dass Pit mich am nächsten Dienstag begleitete. Er war wie verändert. Er bereitete den Raum mit vor, teilte etwas zu trinken aus und lauschte dem Bericht eines Jugendlichen, der ein Jahr in Kenia beim Roten Kreuz mitgeholfen hatte. Dieser hatte Bilder mitgebracht. Er berichtete, wie schlecht es den Menschen dort geht, und dass viele kein Geld haben, um für ihre Gesundheit zu sorgen. Viele Menschen auf den Bildern waren erschreckend dünn, aber auch die Tiere wirkten abgemagert. Er erzählte weiter von der Not in den Dürregebieten und wie schwer es war, wenn sie Lebensmittel verteilt haben und nicht genug hatten und viele hungrig zurücklassen mussten.
Pit tat so interessiert, fragte nach, machte Vorschläge, als wollte er der nächste Jesus werden. Mir ging das jetzt auf die Nerven, da ich ja wusste, dass ihn nicht unsere Hilfe, sondern Susan interessierte.
„Beim Stadtfest am übernächsten Wochenende wollen wir wieder Spenden sammeln“, erzählte unser Pastor. „Seid ihr dabei?“
Ich sah, wie Pit schluckte.
„Ja, ich bin da“, sagte Susan noch etwas schüchtern. „Du auch, Pit?“
Jetzt musste mein Bruder Farbe bekennen.
„Ich weiß noch nicht genau, da ist auch ein Fußballspiel“, antwortete er vorsichtig.
„Ach, macht nichts“, sagte ich dann. „Das schaffen wir auch so.“ Pit schaute mich böse an.
„Vielleicht kann ich ja nachkommen“, meinte er dann.
Als er dann tatsächlich beim Stadtfest nach seinem Spiel auftauchte, dachte ich: „Das muss wahre Liebe sein.“ Ich bin zwar nur der kleine Bruder, aber blöd bin ich nicht. Mama hat allerdings gesagt, ich soll nicht so lästern, Hauptsache Pit sei dabei.
Pit schloss sich Susan an. Zusammen sammelten sie wie die Weltmeister. Dabei lachten sie, gingen auf andere zu, informierten und hielten immer wieder die Spendenbüchse hin.
Auf einmal kamen aber Sönke und Mike aus Pits Klasse und das Bild änderte sich. Sie tuschelten und lachten. Dabei zeigten sie mit dem Finger auf Susan und Pit. Pit blieb das nicht verborgen. Er wurde rot. Da lachten die noch mehr. Es tat mir leid. Pit wandte sich ab.
Im Getuschel der beiden Klassenkameraden klang das Wort: „Idiot“ mit. Da wurde ich richtig sauer. Pit war immerhin mein Bruder und eine Familie muss zusammenhalten.
Als ich dann sah, wie einer der beiden einen Stein aufhob und in sein Taschentuch legte, um ihn wie mit einer Steinschleuder auf Pit abzuschießen, ging es mit mir durch. Ich stürzte mich auf ihn und riss ihn um. Es begann sofort eine Schlägerei, da beide auf mich einschlugen und Pit mir augenblicklich zur Seite stand. Bis unser Pastor dazwischen war, hatte ich schon einen blauen Fleck am Auge und mit dem Knie war ich übel aufgeschlagen. Pit war im Staub gelandet und hatte eine Schürfwunde am Arm, die blutete. Unsere Gegner sahen auch nicht besser aus.
Der Pastor stellte uns zur Rede. Wir mussten uns alle entschuldigen. Die anderen ein bisschen mehr als wir, fand ich. Aber das Ganze hatte doch noch zwei gute Seiten. Die eine: Susan hat uns mit den „Erste Hilfe Sachen“ versorgt und begleitete uns nach Hause, wohin sie später noch öfter kam, weil Pit und sie Freunde wurden. Und die zweite gute Sache war: Pit und ich halten seitdem zusammen wie Pech und Schwefel, wie echte Brüder eben.
Anke Dittmann ©
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