Die diesjährigen Osterferien drohten zu einer Katastrophe zu werden. Die Zwillingsschwestern Kristin und Katharina sollten die Ferien bei ihrer Großmutter verbringen. Ihre Mutter musste ins Krankenhaus und der Vater konnte keinen Urlaub nehmen.
„Wir haben aber gar keine Lust auf Oma“, sagte Katharina zu ihrer Mutter. „Wir sind doch schon groß genug, um allein zu bleiben und morgens und abends ist Papa ja da.“
„Ich habe aber mehr Ruhe, wenn ihr bei meiner Mutter gut versorgt seid. Außerdem freut sie sich auf euch“, entgegnete die Mutter.
Katharina schwieg. Sie wusste, dass ihre Mutter Angst hatte vor dem Krankenhaus und sie wollte ihr nicht noch mehr Sorgen machen.
Trotzdem waren sie mit ihren zehn Jahren doch alt genug, auch allein zu bleiben. Und Großmutter hatte so ihre Eigenarten.
Kristin dachte genauso. „Zwei Wochen ohne Computer“, stöhnte sie abends im Bett am Tag vor der Abfahrt. „Bestimmt ist der alte Fernseher auch wieder kaputt.“
„Schlimmer sind noch Omas Ticks“, meinte Katharina. „Weißt du noch wie wir mit ihr beim Fußballspiel gewesen sind? SV Doofdorf gegen TSV Blödverein– so haben sie zumindest gespielt– und Oma hat mitgeschrien, als wäre sie 18 Jahre alt. Total peinlich.“
„Und dann will sie uns immer überreden, Sport zu treiben. Für Mädchen wäre es gut, sie könnten Karate oder Jiu-Jitsu, um sich besser verteidigen zu können. Wenn ich daran denke, dass sie Mama früher zum Karatetraining geschickt hat, kann ich mir echt kaum vorstellen.“
„Da hatte Papa es besser, der sollte als Kind Handball spielen und tut es heute noch“. Katharina gähnte. „Komm, lass uns schlafen, ich bin total müde. Morgen geht’s dann los. Gute Nacht.“
„Gute Nacht“, erwiderte Kristin.
Die Eltern fuhren die beiden Schwestern am nächsten Tag mit dem Auto in das kleine Dorf Tönnsdorfs, wo ihre Oma wohnte. Es liegt etwa 50 Kilometer entfernt von Hamburg, wo sie zuhause waren. Kein Dorf, sondern ein Kaff sei dies Tönnsdorf, wie ihr Vater zu sagen pflegte. Das war wenig aufmunternd.
Der Abschied von den Eltern war kurz, die Mutter hatte schon ganz ihre bevorstehende kleine Operation vor Augen.
„Mach dir keine Sorgen“, flötete Oma ihr lächelnd zu. „Wir werden uns wunderbar amüsieren. Ich habe mich schon sehr auf die Kinder gefreut. Und mach dir auch nicht so viel Gedanken wegen der Operation, du weißt, ich bin auch operiert worden, das ist nicht so schlimm.“ Oma drückte ihre Tochter fest an sich.
Danach kam für die Zwillinge der Abschied von Papa und von Mama mit guten Wünschen und ein paar Tränen und dann waren sie mit Oma allein.
Oma zeigte ihnen zunächst ihr Zimmer und versprach ihnen dann ein großes Eis in ihrer Wohnküche.
Katharina und Kristin räumten ihre Sachen in den Schrank und in das Badezimmer. Sonst machte das immer ihre Mama, aber Oma legte viel Wert auf Selbständigkeit. „Ihr seid doch schon groß“, pflegte sie zu sagen.
Als sie in der Küche beim Eis essen saßen, wollte Oma mit ihnen Pläne schmieden.
„Sonntag ist Ostern, was wollten wir denn noch so alles machen bis dahin und am Fest selbst?“, wollte sie wissen.
Die beiden zogen nur die Schultern nach oben. „Keine Ahnung!“, sagten sie dann.
Oma seufzte. „Habt ihr schon zu Ostern gebastelt?“
„Ja, in der Schule, Osterkörbchen. Außerdem haben wir Papierostereier mit Stoff beklebt“, antwortete Kristin.
„Wir haben auch Osterhasen bemalt, Ostertexte geschrieben, und wir haben im Religionsunterricht von Jesu Kreuzigung und von seiner Auferstehung gesprochen“, ergänzte Katharina.
„Wir könnten ja für eure Mutter eine Karte mit Osterblumen basteln und diese mit einem aufmunternden Text direkt ins Krankenhaus schicken, da würde sie sich sicher freuen“, schlug die Großmutter vor.
„Klingt okay“, sagte Kristin.
„Dann fahren wir morgen ins Hallenbad nach Bad Schwartau und können auf dem Rückweg ins Bastelgeschäft gehen und die Sachen dazu besorgen.“
„Schwimmen gehen wäre schön“, meinte Katharina und dachte: „Vielleicht werden die Tage ja doch nicht so schlimm.“
„Ich habe euch noch gar nicht gesagt, dass wir drei über die Ferien noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben.“ Omas Stimme klang geheimnisvoll und die Schwestern befürchteten das Schlimmste.
Die letzte „wichtige“ Aufgabe, die sie mit ihrer Großmutter bei einem ihrer Besuche erledigt hatten, war der Bau einer riesigen Rakete aus Pappmaché für ein Kinderfest. Das war viel Arbeit gewesen. Sie musste lange trocknen, wurde bemalt und dekoriert. Sie sah ganz toll aus und Katharina und Kristin waren stolz darauf. Doch am Ende des Festes wurde die schöne Rakete kaputt gemacht, weil Großmutti lauter Süßigkeiten für die Kinder hineingesteckt hatte. Die Rakete hing erst kopfüber an einem Baum. Dann wurde, verbunden mit einem Spiel, das Befestigungsseil gekappt. Die Rakete fiel mit einem kleinen Feuerwerk zu Boden und die Kinder stürzten sich auf die Süßigkeiten.
Katharina und Kristin hatten geweint, weil die Rakete kaputt war.
Da die Kinder schwiegen, riet die Oma: „Oh, ihr beiden, ich sehe es an euren Gesichtern, ihr denkt jetzt an die Papierrakete. Seid ihr da immer noch böse? Wir haben doch noch die Fotos davon und es kam auf den Spaß an.“
Die Zwillinge zogen den Mund zusammen. Da dachten sie ganz anders als ihre Oma.
„Keine Sorge, wir werden nichts bauen. Aber wir haben eine große Verantwortung!“ Großmutter stand auf und wies die Kinder mit einer Handbewegung an, ihr zu folgen.
Sie verließen das kleine Häuschen und gingen zu dem Nachbarhaus.
„Ich habe neue Nachbarn“, erklärte Großmutter. „Die möchten in Urlaub fahren.“
„Ja und?!“, fragte Kristin.
„Sie haben Tiere und suchen jemanden, der ihre Tiere versorgt“, erklärte die Großmutter.
„Was für Tiere?“, wollte Katharina wissen.
„Löwen, Nashörner, Elefanten, Dinosaurier…“, begann die Großmutter und bei den Zwillingsschwestern weiteten sich die Augen.
„… sind es natürlich nicht“, setzte ihre Oma fort.
„Ich dachte schon, wie soll das werden?!“ Katharina atmete auf.
„Schlangen und große Spinnen…“, begann Oma von neuem. „… wären ja spannend, sind aber nicht so kuschlig.“
„Spannend?“ schrie Kristin auf. „Voll eklig sind die.“
Noch bevor die Großmutter sagen konnte, um welche Tiere es sich handelte, öffnete sich die Tür und eine junge Frau begrüßte sie freundlich.
„Hallo, Frau Hauser! Und ihr müsst Kristin und Katharina sein, habe schon viel von euch gehört. Ich bin Britta, die neue Nachbarin.“
„Guten Tag“, antworteten beide Schwestern höflich im Chor.
„Finde ich ja toll, dass ihr euch um Taps und Flummi kümmern wollt“, sagte Britta. „Sie sind noch jung und ziemlich wild.“
Und in diesem Moment kamen zwei kleinere goldbraune Hunde aus der Wohnung geschossen und sprangen an Kristin und Katharina hoch.
„Die sind ja süß“, rief Kristin.
„Ich wollte schon immer einen Hund haben“, entfuhr es Katharina. „Aber bei uns in der Wohnung in Hamburg ist das nicht möglich.“
„Bis Ostern sind wir ein paar Tage weg, wenn ihr solange auf die Hunde aufpassen würdet und mit ihnen spazieren geht und sie versorgt, wäre das toll. Eure Großmutter hat einen Schlüssel für unser Haus.“
„Kein Problem“, antworteten beide vergnügt.
„Zum Osterfeuer sind wir dann wieder da und dann könnt ihr ja nächste Woche euch zusammen mit Jesse und Jasper um Taps und Flummi kümmern“, erklärte Britta noch.
„Jasper und Jesse?“, fragte Kristin nach. „Wer ist das?“
„Wir sind’s!“, tönte es da aus dem Haus und zwei Jungen kamen die Treppe heruntergerannt. Sie waren – wie Kristin und Katharina auch – nicht voneinander zu unterscheiden.
„Das sind meine Zwillinge“, stellte Britta vor. Sie sind elf Jahre alt. „Geht mal zusammen los mit den Hunden und die beiden erklären euch gleich alles, was ihr bedenken müsst.“
Jasper und Jesse holten die Hundeleinen und dann machten sich die vier auf den Weg.
„Also, ihr müsst besonders aufpassen bei Katzen…“, begann Jasper zu erklären, als die vier die Dorfstraße hinab zogen.
Britta und Großmutter schauten ihnen lächelnd nach. „Das werden bestimmt schöne Ferien für die Kinder“, meinte die Großmutter, ohne zu wissen, dass Kristin und Katharina erst jetzt genauso dachten.
Anke Dittmann©
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